Verbrannte Erde

Das Feuer breitet sich aus 
von den Fingern bis in die Ohrenspitzen.
Rot die ganze Welt.

Ich spucke Flammen, bis alles um mich herum verbrannt ist.
Schwarzes, unfruchtbares Land.

Was löst diese Wut aus?
Wie kann ich mich zähmen?
Ich verbrenne innerlich.

Keine Kraft mehr ständig gegen mich selbst zu kämpfen.

Wo ist das erlösende Wasser, das das Feuer für immer löscht?
Wie kann ich es als Quell der Wärme statt der Zerstörung nutzen?

Steinmetz

Sei du selbst.

Das sagt sich so einfach, wenn ich doch all die Jahre, in denen ich mein Ich formte, vergessen habe, wer ich eigentlich bin.

Hallo, liebes Selbst, was hättest du denn gerne? Wer bist denn du eigentlich, sag mal, erzähl mal was von dir.

Ein grober, unbearbeiteter Stein, darin ein diamantener Kern. Schicht für Schicht entfernen wir, die Hammerschläge schmerzen. Doch wenn das Stück Stein abfällt: Erleichterung, Leichtigkeit.

Ohne Schmerzen kein Wachstum.

Durch all die Gesteinsschichten, die sich über die Jahre ablagerten, sahst du dein Innerstes nicht mehr, den reinen Diamanten, als der du geboren warst. Du sahst dich als Stein. Wer bin ich? Ein Stein. Grob und grau, einer unter vielen. Wenn alle gleich sind, lassen sie sich auch ver-gleichen.

Behutsam setze den Meißel an, lerne, was Dich umgibt, entferne radikal. Die Schichten dienten Dir als Schutz, doch nun wiegen sie zu schwer, um weiter zu gehen. Wenn Du Dich nicht von ihnen trennst, bleibst Du irgendwann liegen, stehst nicht mehr auf. Statt an Dein eigenes Ziel zu gelangen, hilfst du Anderen, ihr Ziel zu erreichen, sie treten auf Dich, benutzen Dich, Du wirst Teil des Wegs, unsichtbar und unbedeutend. Doch Du kannst es ihnen nicht vorwerfen, es lag in Deiner eigenen Hand.

Nur wenige – und das sind die, die Du festhalten solltest – erkennen den in Dir enthaltenen Schatz, sie heben Dich auf und tragen Dich ein Stück ihres Weges.

Bis Du Dich auch endlich selbst erkennst.

Der Uterusaurus

Lange habe ich nach Worten gesucht, diesen dumpfen und teilweise stechenden Schmerz zu beschreiben. Ist es ein Elefant, der da einmal im Monat mit einem Fuss auf meinem Unterleib steht? Oder ist es eine Katze, die dort so lange auf der Stelle tritt, bis sie es sich dann doch anders überlegt und sich woanders breit macht? Das könnte alles sein, dachte ich mir, das sind schöne Vorstellungen.
Bis ich ihn kennenlernte. Er offenbarte sich mir eines Tages, als ich wieder einmal nur mit Wärmflasche im Bett liegen und keinen klaren Gedanken fassen konnte.
— Hallo, sagte er mit einer erstaunlich hohen, nasalen Stimme.
— Hallo?, antwortete ich und blickte verwundert fragend auf ihn.
— Ich bin’s, dein Uterusaurus, blinzelte er mich mit quietschvergnügten Augen an. Du kennst mich vielleicht schon, ich bin es, der jeden Monat auf deinem Unterleib steht. Ich würd ja sagen, es tut mir leid, aber das wär’ eher so ne Notlüge, weißt du. Ich kann ja auch nix für meine Natur.
Meine Fantasie musste mir einen Streich spielen, wahrscheinlich waren die Schmerzen mal wieder so groß, und sie half mir dabei, die Realität zu vergessen. Ich musste über mein Gehirn lachen.
— Hej, ignorier’ mich nicht, rief er ein wenig beleidigt und stampfte mit seinem rechten Fuß wütend auf. Die Schmerzen holten mich zurück in die Wirklichkeit. Tiief Luft holen, Atmen nicht vergessen.
— Ich entspringe nicht deiner Fantasie, die ja wirklich sehr reich ist, das muss ich schon zugeben, aber für mich reicht’s nicht. Ich hab’ mich dir einfach noch nie gezeigt, so in meiner ganzen Pracht, weil ich erstens noch nicht dazu bereit war, es hat auch einfach zeitlich nie gepasst, immer kam irgendwas dazwischen. Und dann, ja, ähm, dann schäme ich mich schon ein wenig, weil ich dir dann doch weh tue, und das jeden Monat. Das gibt man auch nich’ einfach so freiwillig zu, ne?
Er blickte mich ein wenig von unten, schüchtern und offensichtlich um Verzeihung bittend, an.
Und ich schaute zurück. Ich betrachtete ihn jetzt genauer, und erkannte seine körperliche Größe. Ja, ein Saurier war das augenscheinlich. Er hatte bunte Schuppen, die im Sonnenlicht leicht glitzerten. Ein harmlos wirkender Saurier von der Größe eines Babyelefanten saß da mit einem Fuß auf meinem Bauch und grinste mich an.
— Sehen die Uterusaurier anderer Frauen auch so aus wie du?, wollte ich wissen. Er wirkte ein wenig enttäuscht ob der Frage.
— Also erstens, niemand ist so wie ich, das ist ja wohl mal klar. Wir sind alle ziemlich einzigartig, so wie ihr halt auch. Die einen sind größer, die anderen noch kleiner, von unterschiedlichen Formen und Farben. Die einen sind besser gelaunt, die anderen schlechter. Das einzige, was wir gemeinsam haben, ist unsere Natur: Jeden Monat stehen wir an Ort und Stelle mit dem Fuss auf eurem Bauch. Eine Woche zuvor tasten wir uns schon mal ran, manche merken dann oft schon unsere Anwesenheit.
— Äh, und was ist bitte der Sinn davon? Und seh’ nur ich dich oder zeigen sich andere Uterusaurier ihren Frauen auch? Und tauscht ihr manchmal durch oder bleibt ihr ein Leben lang an unserer Seite? Und warum hab’ ich noch nie von deiner Art gehört?
Jetzt wollte ich gleich alles wissen.
— Eieidrachenei, langsam langsam. Ich bin ja nächsten Monat wieder hier, schon vergessen?
Er lachte, seinen eigenen Humor feiernd.
— Ich zeig‘ mich dir heute, damit du besser verstehst. Ich bin seit deinem zwölften Lebensjahr bei dir, da war ich aber noch ein kleines Baby. Ich bin sozusagen mit dir groß geworden. Das hast du wahrscheinlich allein daran gemerkt, dass die Schmerzen immer größer werden, je älter du wirst. Bisschen unangenehm, ich weiß. Ich achte auf mein Gewicht, wirklich!
Oh, uns gibt es schon sehr, sehr lange. So lange, wie es den weiblichen Uterus gibt. In alten Zeiten waren wir den Menschen auch noch bekannt, und wenn eine Frau sich mit uns zeigte, so musste sie, solange wir da waren, sich um nichts kümmern und durfte sich erholen. Heute werden wir in den meisten Gesellschaften der Erde nicht mehr als tatsächliche Lebewesen, nicht mal als Parasiten (das Wort mag ich aber nicht), anerkannt. Wir stehen ja auch der viel gerühmten Produktivität im Wege. Was soll ich denn da sagen, bitte?! Mein Lebenszweck ist es, mein Bein auf deinen Unterleib zu stellen, sehr produktiv, oder? Ha! Ich bin die Antiproduktivität in Person, und ich steh‘ dazu, jawohl. Unsere Wirtinnen müssen uns überall hin mitschleppen, und die gleiche Arbeit verrichten, als würden wir nicht halb auf ihnen sitzen und sie fast erdrücken.
Der Sinn unseres Daseins, ja, das kann man schon hinterfragen. Ich mach’ das lieber nicht, sonst stellte ich ja meine gesamte Existenz in Frage, das ist nicht gesund. Ich denke, es hat etwas mit dem Übergang zu einem neuen Kapitel zu tun, zu einer neuen Phase, ein Neuanfang, der oftmals mit Schmerzen verbunden ist. Wachstum bedeutet immer auch Leid, weil man sich vom alten, gewohnten Ich trennen muss, das einem schon so natürlich anhaftete. Auch, und das hast du wahrscheinlich ebenfalls gemerkt, wähne ich mich in der Position, dich immer wieder auf den Boden zurückzubringen, egal, in welcher Höhe du vorher schwebtest. Es wird dir niemals gelingen, völlig abzuheben, weil du nämlich mich hast. Ist das nicht toll?
Er versuchte wirklich sein Bestes, mich von seiner Nützlichkeit zu überzeugen.
— Betrachte mich doch einfach als natürliche Gegebenheit. Niemand kann etwas für seine Natur, sie ist ihm so mitgegeben, also kämpf’ nicht, akzeptier’ mich. Wir könnten beste Freunde werden! Was hältst du davon?
Ich nickte ergeben, für große Diskussionen hatte ich sowieso keine Kraft heute, und außerdem war ich in der Lage, wann es Sinn hatte zu kämpfen, und wann nicht. Die restlichen Fragen, die in mir aufploppten wie Popcorn, würde ich ihm aber definitiv später stellen.
— Willst du noch etwas Tee? Kuchen?

Lange Weile

Keine Lust mehr zu backen. Zu kochen. Spazieren zu gehen.

Keine Lust mehr zu lesen, Serien und Filme zu schauen, zu schreiben. Zu arbeiten.

Keine Lust mehr zu putzen, zu waschen, aufzuräumen.

Keine Lust mehr auf facetimen, skypen, telefonieren, chatten.

Keine Lust mehr, Andere zu fragen, wie es denn so geht, ob alles klar ist, wie sie sich die Zeit vertreiben; sich vorzustellen, wie das dann wird, wenn wir uns wieder treffen können. Ach, ich hab‘ gar keine Lust mehr, Leute zu treffen.

Eine einzige große Leere, in der alles langweilt, was ich tue und nicht tue. Ich kenne das eigentlich nur von früher, aus der Kindheit, als wir noch nicht so viele Möglichkeiten wie heute hatten, uns abzulenken.

Gerade in solchen Momenten, wenn wir es aufgaben, gegen das Nichts anzukämpfen, entstanden die besten Ideen für neue Spiele, Geschichten, Fantasiefiguren, Comics, Musicals, und was wir sonst noch alles kreiert haben.

Die Zeit wirkt quälend lange, bis sie wie eine Blase platzt und die Welt in neuem Licht erscheint.

Jetzt heißt es nur noch abwarten…

Jetzt Desinteresse, später Denkmäler

Was nützen all die antirassistischen, muslimfreundlichen Bekundungen, wenn doch die eigentliche Rhetorik der Regierenden dahin geht, die zu uns Flüchtenden wie Ungeziefer, wie eine Plage von uns fernhalten zu wollen?

Es ist nicht erkennbar, dass Migranten egal welchen Jahrzehnts wirklich willkommen sind, wenn sie am besten doch „draußen“ blieben. Wenn jedes Kind, jede Frau zu viel ist, wenn sie ein „Problem“ darstellen, das in Talkshows und Zeitungskommentaren totdiskutiert wird. Alle Maßnahmen, die sowieso meist erst nach Anschlägen getroffen werden, sind reine Schönheits-OPs und oberflächliche Kurzzeitlösungen.

Aus historischer Perspektive — betrachten wir die Gegenwart aus zukünftiger Sicht — werden wir irgendwann mit tiefer Scham und Schuldgefühlen zurückblicken. Wir werden uns fragen: Wie konnte es soweit kommen? Wie konnten wir einfach zusehen, wie Hunderttausende Menschen aus der Not heraus zu uns fliehen wollten und wir sie entweder auf der anderen Seite von schnell hochgezogenen Mauern und Zäunen in der Kälte erfrieren oder im Meer ertrinken ließen. Wir sie lieber in Lager in Libyen und Marokko schickten — aus den Augen, aus dem Sinn und dem europäischen Kontinent. Wenn eigentlich klar war, was in diesen Lagern passierte – warum hat keiner reagiert? Warum hat keiner etwas unternommen?

Derweil führten wir Debatten darüber, ob man jetzt Schiffe zur Rettung losschicken sollte oder nicht. Lasst uns Schere, Stein, Papier um Menschenleben spielen.

Wir bauen Denkmäler, Mahnmale, sagen „nie wieder“ — doch was hilft es den Toten jetzt?

(geschrieben nach dem Anschlag von Halle am 9.10.2019)