Lange habe ich nach Worten gesucht, diesen dumpfen und teilweise stechenden Schmerz zu beschreiben. Ist es ein Elefant, der da einmal im Monat mit einem Fuss auf meinem Unterleib steht? Oder ist es eine Katze, die dort so lange auf der Stelle tritt, bis sie es sich dann doch anders überlegt und sich woanders breit macht? Das könnte alles sein, dachte ich mir, das sind schöne Vorstellungen.
Bis ich ihn kennenlernte. Er offenbarte sich mir eines Tages, als ich wieder einmal nur mit Wärmflasche im Bett liegen und keinen klaren Gedanken fassen konnte.
— Hallo, sagte er mit einer erstaunlich hohen, nasalen Stimme.
— Hallo?, antwortete ich und blickte verwundert fragend auf ihn.
— Ich bin’s, dein Uterusaurus, blinzelte er mich mit quietschvergnügten Augen an. Du kennst mich vielleicht schon, ich bin es, der jeden Monat auf deinem Unterleib steht. Ich würd ja sagen, es tut mir leid, aber das wär’ eher so ne Notlüge, weißt du. Ich kann ja auch nix für meine Natur.
Meine Fantasie musste mir einen Streich spielen, wahrscheinlich waren die Schmerzen mal wieder so groß, und sie half mir dabei, die Realität zu vergessen. Ich musste über mein Gehirn lachen.
— Hej, ignorier’ mich nicht, rief er ein wenig beleidigt und stampfte mit seinem rechten Fuß wütend auf. Die Schmerzen holten mich zurück in die Wirklichkeit. Tiief Luft holen, Atmen nicht vergessen.
— Ich entspringe nicht deiner Fantasie, die ja wirklich sehr reich ist, das muss ich schon zugeben, aber für mich reicht’s nicht. Ich hab’ mich dir einfach noch nie gezeigt, so in meiner ganzen Pracht, weil ich erstens noch nicht dazu bereit war, es hat auch einfach zeitlich nie gepasst, immer kam irgendwas dazwischen. Und dann, ja, ähm, dann schäme ich mich schon ein wenig, weil ich dir dann doch weh tue, und das jeden Monat. Das gibt man auch nich’ einfach so freiwillig zu, ne?
Er blickte mich ein wenig von unten, schüchtern und offensichtlich um Verzeihung bittend, an.
Und ich schaute zurück. Ich betrachtete ihn jetzt genauer, und erkannte seine körperliche Größe. Ja, ein Saurier war das augenscheinlich. Er hatte bunte Schuppen, die im Sonnenlicht leicht glitzerten. Ein harmlos wirkender Saurier von der Größe eines Babyelefanten saß da mit einem Fuß auf meinem Bauch und grinste mich an.
— Sehen die Uterusaurier anderer Frauen auch so aus wie du?, wollte ich wissen. Er wirkte ein wenig enttäuscht ob der Frage.
— Also erstens, niemand ist so wie ich, das ist ja wohl mal klar. Wir sind alle ziemlich einzigartig, so wie ihr halt auch. Die einen sind größer, die anderen noch kleiner, von unterschiedlichen Formen und Farben. Die einen sind besser gelaunt, die anderen schlechter. Das einzige, was wir gemeinsam haben, ist unsere Natur: Jeden Monat stehen wir an Ort und Stelle mit dem Fuss auf eurem Bauch. Eine Woche zuvor tasten wir uns schon mal ran, manche merken dann oft schon unsere Anwesenheit.
— Äh, und was ist bitte der Sinn davon? Und seh’ nur ich dich oder zeigen sich andere Uterusaurier ihren Frauen auch? Und tauscht ihr manchmal durch oder bleibt ihr ein Leben lang an unserer Seite? Und warum hab’ ich noch nie von deiner Art gehört?
Jetzt wollte ich gleich alles wissen.
— Eieidrachenei, langsam langsam. Ich bin ja nächsten Monat wieder hier, schon vergessen?
Er lachte, seinen eigenen Humor feiernd.
— Ich zeig‘ mich dir heute, damit du besser verstehst. Ich bin seit deinem zwölften Lebensjahr bei dir, da war ich aber noch ein kleines Baby. Ich bin sozusagen mit dir groß geworden. Das hast du wahrscheinlich allein daran gemerkt, dass die Schmerzen immer größer werden, je älter du wirst. Bisschen unangenehm, ich weiß. Ich achte auf mein Gewicht, wirklich!
Oh, uns gibt es schon sehr, sehr lange. So lange, wie es den weiblichen Uterus gibt. In alten Zeiten waren wir den Menschen auch noch bekannt, und wenn eine Frau sich mit uns zeigte, so musste sie, solange wir da waren, sich um nichts kümmern und durfte sich erholen. Heute werden wir in den meisten Gesellschaften der Erde nicht mehr als tatsächliche Lebewesen, nicht mal als Parasiten (das Wort mag ich aber nicht), anerkannt. Wir stehen ja auch der viel gerühmten Produktivität im Wege. Was soll ich denn da sagen, bitte?! Mein Lebenszweck ist es, mein Bein auf deinen Unterleib zu stellen, sehr produktiv, oder? Ha! Ich bin die Antiproduktivität in Person, und ich steh‘ dazu, jawohl. Unsere Wirtinnen müssen uns überall hin mitschleppen, und die gleiche Arbeit verrichten, als würden wir nicht halb auf ihnen sitzen und sie fast erdrücken.
Der Sinn unseres Daseins, ja, das kann man schon hinterfragen. Ich mach’ das lieber nicht, sonst stellte ich ja meine gesamte Existenz in Frage, das ist nicht gesund. Ich denke, es hat etwas mit dem Übergang zu einem neuen Kapitel zu tun, zu einer neuen Phase, ein Neuanfang, der oftmals mit Schmerzen verbunden ist. Wachstum bedeutet immer auch Leid, weil man sich vom alten, gewohnten Ich trennen muss, das einem schon so natürlich anhaftete. Auch, und das hast du wahrscheinlich ebenfalls gemerkt, wähne ich mich in der Position, dich immer wieder auf den Boden zurückzubringen, egal, in welcher Höhe du vorher schwebtest. Es wird dir niemals gelingen, völlig abzuheben, weil du nämlich mich hast. Ist das nicht toll?
Er versuchte wirklich sein Bestes, mich von seiner Nützlichkeit zu überzeugen.
— Betrachte mich doch einfach als natürliche Gegebenheit. Niemand kann etwas für seine Natur, sie ist ihm so mitgegeben, also kämpf’ nicht, akzeptier’ mich. Wir könnten beste Freunde werden! Was hältst du davon?
Ich nickte ergeben, für große Diskussionen hatte ich sowieso keine Kraft heute, und außerdem war ich in der Lage, wann es Sinn hatte zu kämpfen, und wann nicht. Die restlichen Fragen, die in mir aufploppten wie Popcorn, würde ich ihm aber definitiv später stellen.
— Willst du noch etwas Tee? Kuchen?
Auch wenn der Begriff natürlich auf eine andere Aufgabe hinweist, fand ich es gut, dass es früher Haushaltstage gab, somit war es für Frauen ja möglich wenigstens einen Tag im Monat freizunehmen, ohne auf Urlaub oder Bezahlung verzichten zu müssen. Warum das heute nicht mehr möglich ist…ach, ich will gar nicht darüber nachdenken. Die Welt (zumindest die kapitalistisch geprägte) bereitet mir Kopfschmerzen mit ihrem Wunsch nach dem Arbeitswesen, das nie krank wird und nie an Produktivitätskraft verliert bzw. sie stetig steigert.
Schön, dass du Kontakt zu deinem Uterusaurus aufnehmen konntest, ich werde mal in meinem Freundeskreis fragen, ob meine Freundinnen ihn auch schon gesehen haben.
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Ja, ich weiß genau, was du meinst, die Kopfschmerzen kenn ich. Diese Tage in der Arbeitswelt anzuerkennen wär ein groosser Schritt nach vorn!
Haha, oh ja, frag mal nach, bin gespannt 🙋♀️
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