Mut zur Poesie

Wir alle können schreiben. Wir alle tragen Poesie in uns, wir müssen sie nur zulassen. Müssen uns nur trauen, die eigenen inneren Bilder in Worte zu fassen. Wir alle haben etwas zu sagen, uns mitzuteilen, wir Menschen sind kreative Wesen.

Wenn wir das, was in unserem Herzen ist, nach außen durch unsere Finger aufs Papier fließen lassen, wenn wir uns trauen, uns diesen inneren Bildern und Gefühlen zu stellen, wird künstliche Intelligenz nie eine wahre Konkurrenz für uns sein. Wenn wir nach meiner Definition von Poesie gehen, d.h. Poesie als Sprache des Herzens, der Seele, und Kunst als Mittel, das diese innere Poesie veräußert, müssen wir uns darum keine Gedanken machen.

In meinem letzten, von mir angeleiteten Workshop habe ich erkannt, dass ein Hindernis für viele das Denken ist. Einer meiner Schreibtipps lautet, dass wir aufhören müssen zu denken, den Verstand zu benutzen, und in den Körper, ins Herz gehen müssen. Das ist erstmal schwierig, wenn man es noch nicht gewohnt ist, und genau da setze ich aber mit meiner Theorie und vor allem den Übungen an.

Mein Ziel ist es übrigens, jeder Person in meinem Workshop (und freilich auch hier in meinem Blog) zu zeigen, dass sie schreiben kann; dabei möchte ich weg von jeder Bewertung, jedem Vergleich, der massiv am Schreiben hindert.

Ich will zeigen, dass wir alle unsere eigene Welt, unser eigenes Stück Kosmos in uns tragen, und mit dieser Einzigartigkeit immer etwas zur großen Erzählung dieser Welt beizutragen haben.

Schreiben hilft, mit uns und unserer Umwelt achtsamer umzugehen, bewusster zu werden, auch für die eigenen Gefühle und also sich selbst; Schreiben hilft gegen das Chaos im Kopf, wir lernen dabei unsere Stimme kennen und schätzen.

Wenn wir alle ein Stück Kosmos in uns tragen, bleibt nur die Schlussfolgerung: Niemand kann sich selbst und damit auch andere zu 100 Prozent kennen, niemand kann andere für den klitzekleinen Teil verurteilen, den sie uns zeigen, und das mit dem Vergleichen ist dann auch überflüssig.

Schön, oder? Bitte weitersagen!

[Halle, 11.3.2023]

Finderglück

Ich sei sehr leistungsorientiert, so mein Therapeut. Oh Gott, genau das, was ich nicht mag, was ich kritisiere an dieser Gesellschaft. Gilt auch hier mal wieder, dass man oft genau das am anderen (in diesem Fall der Gesellschaft) nicht mag, was man an sich selbst nicht mag?

Es stimmt, seit ich wegen Long Covid nicht mehr „funktioniere“, seit ich keine „Leistung erbringen“ kann, seitdem geht es mir psychisch immer schlechter. Wer bin ich, wenn ich nicht mehr arbeiten kann? Wenn ich nicht mehr in dem Maße denken kann, wie ich es vorher tat? Man bedenke, ich habe eine Doktorarbeit geschrieben und es hat mir sehr großen Spaß gemacht, Lösungen für theoretische Probleme zu suchen und zu finden. Gerade kann ich das nicht mehr, und es plagt mich das schlechte Gewissen. Alle anderen arbeiten, tragen etwas zur Gesellschaft bei, verdienen ihr Geld selbst, und ich? Bin unnütz, zu nichts zu gebrauchen, weiß nicht mal, wer ich noch bin. Wirklich?

Dieser Zustand ist eigentlich sehr meditativ, und ich könnte viel lernen. Ein Schritt nach dem anderen, eine Sache nach der anderen, ich stecke meine Aufmerksamkeit in das Essen vor mir, in den Schritt vor mir, in den Menschen vor mir. Nichts anderes zählt, nur der Moment, der meine ganze Aufmerksamkeit hat. Was danach kommt, weiß ich nicht, und was davor war, habe ich schon vergessen, aber es spielt auch keine Rolle mehr. Grundsätzlich bin ich mir dessen ja bewusst. Aber an der Umsetzung haperts, denn wer hat dafür wirklich Zeit? Die Gesellschaft ist zu vielschichtig, alles ist zu komplex und viel, als dass wir unser Augenmerk nur auf eine Sache nach der anderen richten dürften. Oder?

War es Osho oder Marc Aurel, der gesagt hat, früher waren wir ein Stein oder ein Baum und jetzt sind wir ganz oben angelangt, wir sind ein Mensch und doch unzufrieden?

Warum sind wir ständig so unzufrieden mit allem? So auf der Suche, unruhig, immer am Machen und Tun, alles muss einen Sinn haben, wir brauchen ein Ziel, wir dürfen nichts Sinnloses machen. Wir brauchen einen Lebenssinn, ein Ziel, auf das wir zuarbeiten, das kann auch einfach das Glück sein, das vielzitierte, das uns doch nur eingeredet wird, damit wir Konsumieren und Funktionieren und in all dem Suchen das eigentliche Glück übersehen. Weil wir vorbeilaufen, obwohl es doch schon neben uns liegt, weil wir ihm nicht die Tür öffnen, obwohl es schon die ganze Zeit anklopft.

Nein, nein, es kann so einfach nicht sein, wir müssen, um wahrhaft glücklich zu sein, an uns arbeiten, wir müssen dafür das tun, oder dies, wir müssen dorthin gehen, das dort kaufen, den dort finden, wir müssenmüssenmüssen, und so sind wir unser ganzes Leben in Unrast, immer weiterweiter, Stillstand ist der Tod, war das nicht so? Still stehen bleiben, aufmerksam die Gegenwart fühlen, das ist das Leben. Es geht sowieso weiter, irgendwas ist immer, wirklich still ist das Leben selbst nie.

Aber wir, wir sollten mal still werden, stehen bleiben, aufhören, nach außen und immer weiter zu laufen. Ist doch schön hier. Welch Wunder wir doch sind. Im Guten wie im Schlechten. Bleiben wir stehen, hört die Welt nicht auf, sich zu drehen. Wir nehmen nur endlich wahr, und ach, sieh mal, da liegt ja unser Glück, fast wär ich draufgetreten. Ich hebs auf, kann ja doch nicht so liegenbleiben. Finderglück. Ich lächele – und es lächelt zurück.

[Essenbach, 22.12.22]