Die Hochzeit

Meine Eltern und meine Brüder sind da. Fröhlichkeit liegt in der Luft, Lachen, Lockerheit. Plötzlich zerren sie aus einem Paket ein weißes Kleid. Freie Schultern, feiner Schleier. Aha, es handelt sich also um einen Albtraum. Auf einen schlechten Scherz hoffend, frage ich noch, ob einer meiner Brüder jetzt endlich das passende Outfit gefunden hat. Doch irgendetwas stimmt nicht, ich ahne es, die Blicke sind so erwartungsvoll. Die nächsten Momente erscheinen mir wie Fotographien, die ich betrachte, aber mit denen ich nichts zu tun habe. Und gleichzeitig bin ich in ihnen, erlebe die abgebildeten Szenen, bin in meinem eigenen Film.

– Du heiratest heute – verkündet mein Vater. Begeistert oder auch nur voller Schalk seine Augen, offen sein Mund, nach der erwarteten Reaktion heischend.

Ich antworte nicht. Zu oft wurde ich schon auf den Arm genommen.

Das nächste Foto.

Ihn soll ich heiraten. Guter Witz.

Ich beschließe, zu protestieren, denke mich große Reden schwingend. Mir wird langsam heiß hier, denn ich bemerke den Ernst der Lage und meiner Eltern. Nein, das könnte ihnen so passen, ich reagiere nicht gemäß ihrer Erwartungen.

Ich schlüpfe in das weiße Kleid. Was soll‘s, denke ich, lieber machen, dann hast du‘s hinter dir.

Es ist mein absoluter Albtraum, in einem weißen Kleid vor den Altar oder vor sonst eine Menge zu treten und nach einem strengen Ritual einen Ring an den Finger gesteckt zu bekommen, durch den ich ein Leben lang gebunden bin. Ich kann mich nicht mal an eine Gruppe binden, wie dann an einen einzelnen Menschen?

Doch es ist der Wille meiner Familie, dieser muss gehorcht werden. Dem Druck der Gesellschaft könnte ich sowieso nicht mehr lange standhalten. Zumindest nicht in diesem Land, da müsste ich schon wieder ins Ausland, weit weg von jeglichem Zugriff, jeglicher Menge, die mich kennt. Und wegzulaufen bringt nichts, wenn man letzten Endes doch nur vor den inneren Stimmen flieht. Ich stelle mich mir selbst.

Ich heirate, und dann nichts wie zurück in meinen Alltag, in mein Leben. Diese Heirat verpflichtet zu nichts, er ist wahrscheinlich auch froh, wenn er so weitermachen kann wie bisher. Ich werde ihm niemals jeden Tag kochen, die Wäsche waschen, das Haus sauber halten, mich den ganzen Tag um die Kinder kümmern, paar Mal die Woche einkaufen fahren, paar Mal andere Mütter mit ihren Kindern treffen, Belanglosigkeiten austauschen, die Hinterlassenschaften des Nachwuchses betreffend, niemals werde ich ihm sein Leben so angenehm wie möglich machen wollen, ihm den Hintern polstern, niemals werde ich immer nur Erbauliches, Positives, Optimistisches sagen, niemals. Niemals werde ich immer ein Lächeln auf den Lippen haben, um ihm ein gutes Gefühl zu bescheren. Was eigentlich ändert sich durch eine Heirat? Die Bezeichnung des Partners? Pflichten?

Ich werde das tun, was ich liebe, und das kann keine Heirat ändern. Vor allem keine, die nicht aus Liebe geschlossen wird. Und wäre diese wahrhaftig, egolos, eine „höhere“, müssten wir dazu nicht den Bund der Ehe eingehen. Oder heiraten wir für die Bilder? Der Erzählung wegen?

Wie dem auch sei, auch ich heirate. Trage ein weißes Kleid, durchschreite den Gang. Der Kirche oder des Standesamts?

Ich habe geheiratet. Die Kette habe ich zerschnitten, schon bevor sie geschmiedet wurde. Nichts hat sich geändert. Oder doch, die Stimme, die mir flüsterte: Wann heiratest du? Wen vor allem? Wen und wann und wo? Heirate endlich, mein Schatz. Diese Stimme ist sehr leise geworden, kaum noch für Hundeohren vernehmbar. Es lebt sich leichter jetzt. Wer hätte das gedacht.

Wird sie noch da sein, wenn ich aufwache?