Erdnussbutter oder Honig oder was

Abgegrenzte Grundstücke mit eigenen Regeln, eigenem Wortschatz, eigenen Geschichten.

Wie sollte ich von meiner Vorliebe für Honig wissen, wenn ich von seiner Existenz lange nichts ahnte, diesen noch nie probiert hatte und mir auch nie gesagt worden war: Es ist okay, lieber Honig zu mögen.

In unserem Haus wohnte kein Honigesser, niemand kaufte ihn ein, niemand mochte ihn. Woher sollte ich es also wissen? Auf ein paar Feiern hatte es Gelegenheiten zum Probieren gegeben, aber ich hatte auch ziemlich Angst davor, denn was sollten all die Erdnussbutteresser denken? Und was, wenn ich ihn nicht richtig aß? Wenn die Honigesser in mir eine Heuchlerin, eine Touristin sahen, die nur nicht wusste, was sie wollte? Was, wenn ich ihn einfach nur deswegen essen wollte, weil ich das Verbotene liebte und gern mal neue Dinge ausprobierte?

Die Gedanken um Honig würden schon wieder vorübergehen, wahrscheinlich waren sie sowieso nur da, weil wir wenig Erdnussbutter im Haus hatten und ich mich auch einfach sattgegessen hatte.

Wenn ich von Haus aus lieber Honig gegessen hätte, warum hatte ich es nicht einfach getan? Warum aß ich schon seit 20 Jahren Erdnussbutter? Diese Frage stellte ich mir oft. Sie ließ mich auch zweifeln an meinen neuen Erkenntnissen. Dann aber sagte ich zu meinem Kopf: Sei still, die Angst spricht aus dir, weil du ganz genau weißt, dass dies der richtige Weg ist. Sei still, mein Herz spricht Honig, wir verstecken uns nicht mehr hinter den sicheren Mauern der Erdnussbutteresser.

Erdnussbutter essen war so einfach. Von irgendwoher kam immer ein Gläschen, leicht zu öffnen, leicht zu vernaschen. Und da das alle um mich herum machten, kam mir nicht mal der Sinn nach Honig.

Es kam der Tag, an dem ich auf der anderen Seite der Stadt auf einer Feier eingeladen war, und an diesem Abend kamen auch Honigesser. Nicht dass das irgendwer auf die Stirn geklebt hätte oder es Thema des Abends war. Es kam so nebenbei auf, und ein Gast erzählte von ihrer Erkenntnis, doch auch Honigliebhaberin zu sein, was sie wie ich lange nicht gewusst hatte, wozu ihr lange die Worte gefehlt hatten. Erst mit dem Umzug und Einladungen in andere Häuser wurde ihr klar, dass es da draußen noch viele andere Brotaufstriche gab, von denen sie vorher noch nie gehört hatte. Du kannst von etwas hören, von seiner Existenz erfahren, aber wissen, ob‘s dein Geschmack ist, tust du‘s deshalb noch lange nicht, wenn du‘s nicht probierst.

Doch die Stimmen in meinem Kopf werden nicht leiser. Was, wenn du einfach noch nicht auf die richtige Sorte Erdnussbutter gestoßen bist? Vielleicht ist dir auch einfach langweilig und du hast zu viel Zeit nachzudenken? Nur weil viele deiner Freunde sich mittlerweile auf eine Erdnussbuttersorte für den Rest ihres Lebens festgelegt haben, musst du das ja noch lange nicht tun?

Einerseits beneidete ich diese Freunde. Welch ein Glück sie hatten, die Sorte ihres Lebens gefunden zu haben, wo es doch so viele Auswahlmöglichkeiten gab! Worum beneidete ich sie eigentlich? War es vielleicht einfach nur der Umstand, dass diese in dieser Hinsicht erst einmal Ruhe sowohl in sich als auch von außen hatten? So mancher entschied sich ja für eine einzige Erdnussbutter aus praktischen und pragmatischen Gründen – es bedeutete Sicherheit und auch, dass man sich in Zukunft darum keine Gedanken mehr zu machen brauchte. Ein Häkchen auf der Checkliste, Erdnussbutter für immer im Schrank.

Ja, es war diese Sicherheit, um die ich sie beneidete, denn bei mir war noch gar nichts sicher – außer der Wunsch danach, irgendwann von dem leben zu können, was ich am liebsten tat. Der Wunsch nach einem gefüllten Vorratsschrank in meinem eigenen Haus und auf meinem eigenen Grundstück, oder auch der Wunsch, Brotaufstrich selber zu machen, war mir fremd und manchmal sogar ein Graus. Was aber, wenn er mir nur deshalb zuwider war, weil ich in Wahrheit den Schrank nicht mit Erdnussbutter, sondern mit Honig füllen wollte? Weil ich mein bisheriges Leben innerhalb so beengter Rahmen gelebt hatte, die keinen Platz für Gedanken an andere Brotaufstriche ließen?

Woher wussten denn die Menschen, ob sie lieber Honig oder Erdnussbutter aßen? Hinterfragten Erdnussbutterliebhaber jemals ihre Erdnussbutterliebe? Woher konnten sie sich so sicher sein, wenn doch Honig ebenfalls süß war und wunderbar schmeckte? Hatten sie ihn schon probiert? Ich bezweifle die Reichweite ihrer Zweifel.

Wer weiß, wie meine nächsten Morgen aussehen. Werde ich meine Mitbewohner einfach irgendwann mit einem Topf Honig überraschen? Werde ich endlich den Mut haben davon zu naschen? Schon jetzt fühle ich mich anders, freier, die Mauern um das Grundstück bröckeln, einen kleinen Durchgang habe ich mir geschaffen. Werden wir irgendwann alle Mauern und Zäune niederreißen und den Zugang zu jeglichem Brotaufstrich ermöglichen? Und wenn dieser möglich ist, wird er dann auch sicher sein, ohne Lebensgefahr? Ohne Befürchtung, ausgestoßen zu werden? Werden wir irgendwann erkennen, dass es am Ende ganz gleich ist, welchen Brotaufstrich der Mensch wählt, solange er am Ende satt wird?