Stille Wasser

Stille Wasser sind tief, tiefe Wasser sind still. Sagt man.

Je tiefer du tauchst, desto stiller wird es um dich und desto lauter wird es in dir, die Dunkelheit verschluckt alles und lässt es gleichzeitig zu; desto mehr schaurige Gestalten erscheinen, sie leben hier seit Jahrtausenden, unentdeckt von der Menschheit, ja selbst von mir.

Sicherer für alle ist es, an der Oberfläche zu segeln und nur dort zu tauchen, wohin die Sonnenstrahlen reichen. Was nicht von allein nach oben geschwemmt wird, sollte dort unten bleiben, für immer.

Aber können wir jemals Frieden empfinden, solange der Großteil in uns in absoluter Schwärze liegt, mysteriös und unzugänglich? Die Angst vor dem Unbekannten bleibt, die Neugierde auch.

Manchmal vergesse ich meine Tiefe, schwimme im Sonnenlicht, lasse mich von den über mich hinwegziehenden Stürmen mitnehmen. Manchmal bebt die Erde, eine Urgewalt rüttelt an meinen Grundfesten, meine Unruhe wirkt bis ans andere Ende der Welt.

Lange hatte ich zu viel Angst vor mir, planschte in ruhigeren Gewässern, sorglos vor mir selbst fliehend. Ein Sturm trieb mich zu mir, ich kenterte, die hohe See verschluckte, versenkte mich. Aber ich ertrank nicht, ich nahm mich an, meine dunkle, unerforschte Tiefe, begegnete Monstern, kämpfte, schwamm mit ihnen, bis wir das Interesse aneinander verloren.

Nun bin ich ruhiger, sehe Stürmen gelassener entgegen. Lasse ich mich weitertreiben? Oder mache ich mich jetzt, da ich die Gefahren einschätzen kann und mutiger bin, auf die Suche nach dem legendären Schatz?

Viele suchten ihn, viele versanken für immer in den Tiefen meines weiten Meeres; manche fanden ihn, ohne es mir sagen, ohne es mir zeigen zu können, denn entdecken muss ich ihn selbst.

Also: Abenteuer oder Sicherheit? Und wo beginne ich meine Suche?

[Halle, 27.11.22]

Veröffentlicht von

lenkasause

Die Worte flossen aus meinen Fingern, ich verstehe sie erst jetzt...

2 Gedanken zu „Stille Wasser“

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