Wie vom berüchtigten Erdboden

Eines Tages verschwand ich einfach. Ich war da, und dann nicht mehr. Da ich meine eigene Abwesenheit sah, musste ich noch irgendwo sein, in einer Parallelwelt, träumend auf die andere Seite blickend und beobachtend. Aber ich war verschwunden, mir nichts, dir nichts, so als wär‘ ich nie da gewesen. Oder?

Es war eine Frage, die ich mir oft gestellt hatte. Eher eine Vermutung, getränkt in der Hoffnung, Gründe dagegen zu finden. Wenn ich morgen nicht mehr da bin, würde es einen Unterschied machen? Würde mich jemand vermissen? Braucht mich doch eh keiner. Das Leben schien mir oft zu schwer und zu lang zu sein. Was war der Sinn dahinter?

Nun war ich also verschwunden und sehr gespannt auf die Folgen. Wenn es denn welche gab.

Einen halben Tag lang bemerkte niemand meine Abwesenheit von dieser Welt. Konnte ja sein, dass ich vertieft in Arbeit in meinem Zimmer saß. Konnte ja sein, dass ich gerade Abstand zur Außenwelt brauchte und deshalb nicht ans Telefon ging.

Am späten Nachmittag jedoch begannen sich einige zu wundern. Meine Mitbewohner klopften an die Tür, fragten, ob alles okay ist. Mein Freund Ferhat rief immer wieder an, er wusste, würde ich so rein gar nicht mit ihm kommunizieren, musste etwas passiert sein und mir ging es überhaupt nicht gut. Der hatte da ein Gespür dafür, wie er mir sowieso immer alle Gemütszustände von den Augen ablas.

Abends dann kamen meine Mitbewohner in der Küche zusammen, wie so oft in den letzten Wochen, und fragten sich, wo ich wohl sei. Schließlich war mein Schlüssel da, und mein Telefon hörten sie ständig klingeln. Auch Ferhat kam vorbei, ihm ließ das keine Ruhe. Doch sie fanden mich nicht auf, weder in meinem Zimmer noch im Bad, weder im Keller noch in der Küche.

Mein Laptop stand aufgeklappt auf meinem Schreibtisch, daneben lag das Handy, als hätte ich gerade noch gearbeitet. Ein Dokument war geöffnet, darin hatte ich noch geschrieben heute morgen. Und eine Webseite spielte ein Lied nach dem anderen ab, was der Algorithmus eben so vorgab. Auf einem Notizzettel hatte ich angefangen, etwas zu schreiben, der Stift lag in einer Position daneben, als würde er gerade benutzt — nur dass die Hand dazu fehlte. Auf dem Zettel stand: „Kurzgeschichte Ged.ex: was wäre, wenn ic“. An dieser Stelle endete der Satz. Meine Mitbewohner und mein Freund schauten sich an. Etwas schauderte sie an dieser Sache. Wo war ich nur hin?

(Fortsetzung folgt)

Tage

An manchen Tagen da
fühl’ ich mich so zerbrechlich, gar durchlässig,
als würd’ ich nicht deinen Fuß,
sondern alle Last der Welt tragen
und jegliches Gefühl der Menschen durch mich hindurch gehen.

Ich verschwinde ins Nichts,
mein Körper trennt sich von meinem Selbst,
ich wand‘re über die Erde,
Mutter, Schwester, Tochter allen Frauen der Welt.

(Aus dem „Uterusaurus“)

Freigang

Öffnen. Das Leben „beginnt“ wieder. Endlich ist Sommer. Alle fliegen in den Urlaub. Wie schön das Leben ist. War da was?

So passend, wie plötzlich die Zahlen sinken. Vor zwei Wochen waren wir noch bei fast 200, jetzt sind es nur noch 30. So passend, denn waren da nicht gerade noch sinkende Umfragewerte der Regierung, waren da nicht Betrugsskandale, die aber sowieso schon vom lustvollen Aufschrei über den Betrug der Testcenter übertönt wurden?

Gebt den Leuten ihren Urlaub und ihre Biergärten, lasst sie wieder in großen Mengen einzeln auf Partys gehen, dann hören sie auf, in großen Mengen zusammen auf Plätzen zu stehen.

Nach über einem Jahr Arbeit im „Homeoffice“ habe ich mich an das Gefühl gewöhnt, nur in meinem Zimmer sein zu können. Draußen unter Menschen, da lauert der Tod. Oder zumindest Quarantäne, was in einer kleinen Vierer-WG wirklich zu verhindern ist. Ich gehöre zu den Menschen (ich bin mir sehr sicher, nicht alleine zu sein), die von den plötzlichen Öffnungen eher überfordert sind. Ich bin noch keiner dieser „Premium“-Menschen mit zwei Impfungen, ich bin auch keine Genesene. Nein, ich hatte sehr viel Glück bisher, und doch nütze ich der Gesellschaft so wenig, dass ich wohl erst am „Schluss“ in den Arm gepikst werde.

In diesen zwicke ich mich jetzt schon manchmal, einfach um zu prüfen, ob das wirklich ist, was ich sehe: Menschenmengen in den Parks, Tische und Stühle vor Restaurants und Cafés, auf ihnen Menschen, genüsslich ihren Cappuccino schlürfend. Freilich würd‘ ich da auch gern dazugehören, und wer sich nach langer Zeit mal wieder mit mehr als zwei Haushalten trifft, der weiß, wie glücklich das macht. Wahnsinn, wie schnell man sich mal eben die normalsten sozialen Dinge abgewöhnt. Monatelang habe ich vom Ende des Lockdowns geträumt, und jetzt ist er da und jetzt geht mir das zu schnell.

Der Lockdown hat meine Unbeschwertheit zerstört. Eingegraben. Irgendwo ist sie bestimmt noch. Ich geh’ sie mal langsam suchen.