Manche Gedichte leben

Manche Gedichte leben 
in meinem Herzen nur,
dort wohnen sie
für immer.

Sie sind unaussprechlich,
nicht in Worte zu fassen,
jeder Versuch raubte ihnen
ihren Zauber.

Verstehen lassen sie sich
nicht, nur fühlen,
und warum also
ausformulieren?

Allein die Poesie vermag
über Bilder auszudrücken,
was sich nicht einfangen lässt, was,
wenn doch in Worten gefangen,
immer nur ein Abglanz
der Wahrheit ist.
[Halle, 1.5.23]

Ein Abend Ende November

 Deine Küsse  
 Deine Blicke durch den Raum  
 mich suchend  
 unsichtbare Bande  
 durch die ganze Wohnung  
 lass uns tanzen  
 lass uns küssen  
 lass mich nachhause gehen es ist spät  
 
 sehnsucht nach dir  
 ohne zu wissen wer du bist  
 alles nur in meinem Kopf?  
 
 An jenem Abend geflohen,  
 doch mit dem Wissen von jetzt  
 wär ich so früh nicht gefahren.  
 
 Lass uns tanzen  
 lass uns küssen
 aber langsam  
 im Kreis  
 nicht zu schnell zu schwindel
 erregend  

 Eine Woche wie ein ganzes Jahr.  


(Halle, 14. Dezember 2019)

Tat twam asi

Ich bin Alles und Nichts.
Tausend Füchse und doch nur einer.
Das Mädchen hinter der Kamera,
Dein Auge.

Bunt spiegelt sich die Welt in dir,
Golden gesprenkelt.
In dir die ganze Welt
Vereint zum Tanz der Liebenden.

Du suchst und rennst und sehnst,
Unsichtbar der Weg,
Deine Karte im Herzen.

Bleib endlich stehen,
Erkenn dich in dir, vergiss dich
Und du siehst:

Du bist Alles, und Alles ist Du.

Mutter

Ein Buch, allein in der Welt.

Unabhängig vom Autor
erzählt es dir seine Geschichte.

Er erweckt sie zum Leben,
er ist das Sprachrohr, hat die Finger,
durch die eine Geschichte geboren wird.

Vom Hautpartikel zum Herzklopfen - 
erzähle alles, ohne Sprung.

Du bist die Mutter,
verantwortlich für dein Kind
allein in der Welt.

(Halle, 12.02.20)

Ein Gedankenspiel

Frei sein. Loslösen. Ich stelle mir vor, nicht von hier zu sein, sondern von einem anderen Planeten. Ohne Wörter für uns Alltägliches. Ohne Vorstellung, wie die Welt funktioniert, nur beobachtend.

Das erfordert enorme Kraft: Genau hinsehen, was für uns Menschen ganz „normal“ ist, was naturgegeben, was von uns gebaut, kultiviert, künstlich ist. Vergessen. Das Überflüssige vergessen. Alles.

Was sind gewisse Vorannahmen, die ich aufgrund meiner Erfahrung mache und mit der ich Dinge beschreibe? Was sehe ich nicht aufgrund meiner Erfahrung? Auf was lege ich besonderes Augenmerk?

Sehe und beschreibe ich manche Dinge so aufgrund meines kulturellen und sonstigen „Hintergrunds“? Aufgrund der Erzählungen, mit denen ich aufgewachsen bin?

Wie erlebe ich mit all meinen Sinnen – oder gar ohne sie? (Bei diesem Gedankenspiel gehe ich davon aus, dass der Ausserirdische die gleichen Sinne hat wie wir Erdenbewohner.) Teilweise fehlt mir der Wortschatz, um Dinge „exakt“ zu beschreiben, doch dann kommt die Poesie ins Spiel – beziehungsweise muss ich mit mir bekannten Wörtern das mir Unbekannte wiedergeben.

(Wird der Außerirdische verstehen, was Liebe ist? Was Ehe ist? Alle vom Menschen gemachten Regeln, Grausamkeiten, Zerstörungen seines eigenen Planeten?)

(Halle, 18.05.19)

Wir sehen uns wieder

im nächsten leben ich bin
auf der suche nach dir
versprochen uns immer
zu suchen
zu helfen
irgendwann aus diesem
labyrinth aus träumen
zu entkommen
was ist realität
in welcher lebst du am liebsten

Wir haben uns versprochen uns
auch nach dem tod wiederzufinden
wiederzusuchen
gemeinsam
aus dieser hölle auszubrechen
alleine unmöglich
nur zu zweit finden wir ihn
du hast den plan und ich die taschenlampe
sag mir den weg
ich leuchte dir.