Grillen bezirpen das Nichts

Über meine Long Covid/ Post Covid-Erkrankung im neunten Monat

Gerade wollt ich was schreiben. Hab es geschafft, mich an den PC zu setzen, Schreibprogramm aufgemacht, leere Seite vor mir. Und sie bleibt leer, denn alle brillanten Sätze, die mir vorhin in den Kopf kamen, sind wie weggeblasen. Alles leer, weg, weiß, Wüste, in der nichts passiert, außer dass diese runden Dinger an mir vorbeifliegen, ein leiser Windhauch. Die Grillen bezirpen das Nichts.

Schlimm ist, immer wieder die Erwartungen zu enttäuschen. Treffen abzusagen. Mit Menschen, die ich gerne mag, oder die ich gerne mögen könnte, wenn wir die Bekanntschaft intensivierten. Aber das ist nur schwer möglich. Ich weiß nämlich nicht, wie es meinem Körper in einer Woche gehen wird, oder in einem Monat, oder in zwei Tagen. Einsamkeit vorprogrammiert.

Sehr schwierig für mich ist auch, überhaupt zu akzeptieren, dass ich diese Krankheit habe, die jetzt immer öfter in den Medien auftaucht. Dass ich Hilfe brauche, dass ich einfach nicht arbeiten kann. Warum ich (aber warum auch nicht ich, ne)?

Schlimm ist diese Unfähigkeit zu denken. Ich kann kaum einen zusammenhängenden Gedanken fassen, und es ist unglaublich harte Arbeit, mich gerade auf diesen Text zu konzentrieren. Danach muss ich mich vermutlich erstmal für 20-60 Minuten hinlegen und schlafen. Wobei „Schlaf“ euphemistisch ausgedrückt ist, es ist eher ein halbtotes Erstarrtsein, unfähig jeder Bewegung bei vollem Bewusstsein.

Schlimm ist aber auch dieses Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden, v.a. von Mediziner:innen, die mir doch eigentlich helfen sollten. So gut wie jeden Tag zweifle ich an mir selbst, komm mir komisch vor, alles Einbildung, Psyche, Faulheit? Besser wird es nicht durch den Konsum von Social Media, wo so viele Menschen die Zeit ihres Lebens zu haben scheinen, beruflich durchstarten, in Urlaub fahren, Sport machen, Partys feiern – oder hald einfach „normale“ Dinge tun.

Letzte Woche habe ich mich endlich mit einem anderen Post-Covid-Patienten connected. Von ihm habe ich wertvolle Ärzte-Tipps und einen Funken Zuversicht. Denn mit dieser Krankheit fühle ich mich meistens ziemlich allein. Nach acht (!!!) Monaten habe ich endlich die Diagnose ausgestellt bekommen, obwohl die Symptome von Anfang an eindeutig waren. Ein langwieriger (Fach-)Arztmarathon begann, denn Termine bekommt man da höchstens alle vier bis fünf Wochen, und das auch nur mit dem Vermerk „dringend!“. Ich war irgendwann sooo müde, wollte zu keinem Arzt mehr gehen. Warum auch, wenn dich keiner ernst nimmt bzw. niemand wirklich weiß, was tun? Ja, alle Werte stimmen, in der Lunge ist nichts zu sehen, und an manchen Tagen geht es mir relativ gut.

Das sind dann die Tage, an denen ich mir denke: Vielleicht ist ja alles gar nicht so schlimm, vielleicht ist vieles nur Einbildung? Bis ich dann wieder vor Atemnot auf halbem Weg stehen bleiben muss, bis mein ganzer Körper kribbelt und schmerzt, nur weil ich mich gerade aus Versehen zu schnell bewegt habe. Nur weil ich wieder mal zu wenig Pausen eingelegt, zu viel gedacht, gelesen, gelacht habe. Und selbst dann noch denke ich mir, dass das ja vielleicht daran liegt, dass ich so wenig Sport gemacht habe die letzten Monate, und das ja dann vielleicht nur Übungssache ist.

Wie soll ich da 40 Stunden arbeiten? Etwas, was ich mir die letzten Monate vorgemacht habe. Vielleicht, habe ich mir eingeredet (und wurde mir auch eingeredet, aber selbst schuld, wenn ich vor anderen oft so tue, als wär alles easy, nur um sie nicht zu belasten), wird alles gut, wenn ich erstmal wieder arbeite, wenn ich mehr zu tun habe, wenn ich wieder mehr unter Menschen bin. Ich muss doch mal wieder was tun, muss produktiv sein, muss mein eigenes Geld verdienen, meine Karriere starten, muss, muss, muss. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Fest steht, dass es mir schwer fällt, mich längere Zeit am Stück ( = fünf bis zehn Minuten) zu konzentrieren, dass ich unglaublich schnell ermüde, dass ich Schwierigkeiten habe, mit anderen Menschen zu reden, längere Sätze zu sprechen, dass schon der Arbeitsweg mich so ermüden würde, dass ich danach noch kaum etwas zustande bringe. Fest steht, dass ich mir endlich helfen lassen muss, aber es ist sooo anstrengend, so ermüdend…

Ich will wieder arbeiten, ich will so gerne an allen Veranstaltungen und Partys teilnehmen, ich will so gerne meinen Freundeskreis erweitern, Ausflüge unternehmen, ich will so gerne wieder denken können und Texte zu so vielen Themen schreiben, es gibt so viel zu sagen, aber es geht einfach nicht. Und das, obwohl es mein pures Vergnügen ist, mit dem Kopf zu arbeiten, ihn mir zu zerbrechen über gesellschaftliche, philosophische, theoretische Probleme. Wissenschaftliche Texte lesen, denken, neue Ideen, zusammenhängende Texte zu formulieren, das war bis vor kurzem mein Leben! Und ist nicht mehr möglich.

Je mehr ich erzwinge, desto müder werde ich, desto mehr tut alles weh, desto schlechter geht es mir im Nachhinein. Meine Tage durchzuplanen war vorher nie mein Ding, aber anders geht es nicht. Der Akku muss geladen, darf nie ganz leer sein. Vielleicht geht es mir gerade auch nur deshalb so „gut“, weil ich viel Zeit habe, mich zu schonen und ich relativ wenig Verantwortlichkeiten habe. Das ist mein Glück. Andererseits könnte genau jetzt der Ernst des Lebens beginnen und ich – ich hab keine Kraft dafür, bin zu müde, lass mal verschieben.

[Halle, 5.12.22]

Veröffentlicht von

lenkasause

Die Worte flossen aus meinen Fingern, ich verstehe sie erst jetzt...

13 Gedanken zu „Grillen bezirpen das Nichts“

  1. O je, das klingt gar nicht gut! Ich wünsche dir gute Besserung – und viel Verständnis von Ärzten, Freunden, … für diesen seltsamen Zustand, in dem du dich gerade befindest (und der hoffentlich ein Ende finden wird).

    Gefällt 3 Personen

  2. Was für ein Mist! Es muss so, so schwer sein, das auszuhalten. Und wenn es dann noch Leute gibt, die Deine Lage nicht erst nehmen, die Dich nicht ernst nehmen, dann ist das das Allerletzte. Leider ist solches Verhalten immer mehr charakteristisch für unsere immer egoistischer werdende Gesellschaft.

    Ich wünsche Dir von Herzen, dass es bald nach und nach besser wird, dass Du Licht, Wärme, Frieden wieder empfinden kannst, dass Du Deine Inspirationen wieder finden und ausleben kannst. Insoweit steckt so viel Wunderbares in Dir, das habe ich in der relativ kurzen Zeit, die ich Dich hier begleite, längst bemerkt.

    Alles Liebe für Dich ich schicke ganz viele nur gute Wünsche für Dich in den Orbit. ✨💚

    Gefällt 2 Personen

    1. Danke Dir, das zu lesen tut sooo gut 🙏🙏🙏 was ich mit der Veröffentlichung dieses Texts erreichen will, ist, ein Bewusstsein zu schaffen für diese Krankheit, die in 1000 Gestalten daherkommt, es geht mir gar nicht so sehr um mich… ☀️🫶

      Gefällt 1 Person

    2. Ergänze: Es ist auch typisch für eine Gesellschaft, in der es das, was man nicht nachweisbar ist, gar nicht geben kann, und vor allem in der eine Person, die nicht zu 100% „funktioniert“ und leistungsfähig ist, unbrauchbar und wertlos ist (überspitzt formuliert)…

      Gefällt 2 Personen

      1. Ja, das ist wohl so. Und das ist überaus traurig.

        Ich weiß, dass Du mit Deinen Gedanken keineswegs nur Dich in den Fokus rücken wolltest, obwohl Du dazu allen Grund hättest.

        Ich schreibe aus eigener Erfahrung, wenn ich hier ausführe, selbst leider sehr genau zu wissen, wie es ist, wenn eine Krankheit nicht „akzeptiert“ wird. Wie oft habe ich schon gehört, dass ich mich nicht so anstellen solle, dass es doch irgendwann auch wieder mal gut sein müsse, dass es irgendwie sehr an mir selbst liege.

        Es gibt so einige „unsichtbare“ Krankheiten, die nicht als Krankheiten erkannt, anerkannt oder gar verstanden bzw. akzeptiert werden. Für Menschen, die daran leiden, ist das eine wiederkehrende leidvolle Erfahrung. Es bedeutet oft, mit einem Stigma dauerhaft leben zu müssen.

        Umso mehr und wirklich herzlich wünsche ich Dir, dass Deine Erkrankung irgendwann (am besten möglichst bald) ihre Kraft, ihren Einfluss auf Dich verliert, das Du wieder mehr Lebensqualität spüren kannst.
        Dein Wert bemisst sich nicht an der Krankheit, Deine Seele ist autark, sie allein macht Dich als Menschen, als Persönlichkeit, Deinen Wert, aus!

        Wer das sehen möchte, der sieht das.

        Noch einmal liebe und Zuversicht schenken wollende Grüße an Dich, liebe Lenka. 🙂

        Gefällt 1 Person

  3. Kass den hoffnungsfunken in dir zu einem lodernden Feuer werden. Vertraue dir und höre auf dein Herz. Menschen nehmen anderer Sorgen oftmals nicht ernst, weil wenn sie das täten müssten sie sich damit auseinander setzen, das wollen die gar nicht. Lass die einfach und mache das wo du fühlst, dass es für dich gut ist. Liebe Grüße ♥️ ♥️ ♥️

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar