Es gibt nichts zu verlieren

Ich erzähle schon wieder Märchen. Diese andere Stadt gibt es nicht. Noch nicht.

Meine Erinnerungen verschwimmen mit den vielen Geschichten, mit meinen Träumen, Wünschen.

Heute ist etwas anders, aber noch lange nicht zu Ende. Ich bin jetzt eine von denen, die nichts mehr sagen, oder die sich nur noch in Bildern ausdrücken. Ich wohne außerhalb der Stadt, glaube ich, dunkle Szenen eines Busses vor Augen und von Männern, die mich hineinzerren, andere, verzweifelte Augenpaare auf mich gerichtet. Wir wohnen im Wald, glaube ich, ganz glücklich und auch nicht, weil wir wissen, dass da etwas völlig falsch läuft, weil wir wissen, und so viele nicht. Und weil wir nichts tun können, und wer weiß, aber nichts tun kann, flüchtet sich in Fantasiewelten und sein Gehirn verdrängt aus Verzweiflung.

Da waren jedoch diese vielen Bilder in mir, die hinausdrängten, also besorgte ich mir auf sehr umständliche Weise (sie verbieten uns hier im Wald Stift und Papier, aber wie das so ist mit Gefängnissen, du bekommst auf die ein oder andere Weise doch noch alles, was du willst) etwas zu schreiben. Vielleicht ist die Welt schon so, wie ich sie mir nach der Entdeckung der Unterirdischen Seen erträumte. Aber wären wir dann noch hier?

Der Bär sitzt drüben in seiner Ecke unter der großen Weide, zieht an seiner Pfeife (er hat sie sich mangels industriegefertigter Zigaretten selbst geschnitzt) und blickt den ganzen Tag auf den See. Als ich neu in den Wald kam, blickte er mich nur kurz traurig an und verkroch sich wieder in sich zurück.

Viele von uns haben schon aufgegeben, sie sitzen und warten auf ihre Erlösung.

Auch ich habe solche Tage, an denen ich mir nur wünsche, nicht mehr aufstehen zu müssen, wozu das auch alles. An anderen Tagen denke ich rebellischer, alles in mir steht auf gegen diese Ungerechtigkeit, gegen diese Stadt, gegen die Herrschenden. Irgendetwas haben sie aber mit meinem Gedächtnis gemacht, oder es waren die Unterirdischen Seen, denn ich erinnere mich an nichts. Gleich einem schwarzen Loch haben sie mir jegliche Informationen über meine Vergangenheit und meine Zukunft weggesaugt, und wenn ich sage, ich rege mich auf, dann ist das eher ein unbestimmtes Gefühl, eine Kraft in mir, die sich gegen diese Verlorenheit wehrt.

Wenn ich weder Gestern noch Morgen habe, worüber dann aufregen?

Ich bin im Wald, auf moosigem Boden, mit einer kleinen Hütte unter einem Tannenbaum, unweit des dunkelgrünen Sees. Ich fische mir einen Fisch, brate ihn über dem Feuer, teile ihn mit den anderen, denen es ähnlich geht wie mir. Heute bei mir, morgen bei dir, übermorgen alle zusammen.

Wozu kämpfen, wenn alles sinnlos scheint? Wozu aufstehen, wozu arbeiten, wozu irgendwas tun, wenn du weißt, du bist lediglich eine kleine Figur in der großen weiten Arena, und die dort oben lachen dich aus oder wollen dich einfach nur sterben sehen? Wozu noch Mühe geben?

Ich habe diese Geschichte aufgeschrieben, damit ihr, die ihr das lest, euch verbündet, damit ihr etwas tut, damit ihr aufsteht und gegen diese allzumfassende Ungerechtigkeit kämpft. Befreit uns von unserer Last des Wissens, befreit uns von unserer Ohnmacht. Ihr, die ihr das lest, verzeiht mir meine Schwächen, meine jahrelange Flucht, mein Nichtstun. Macht es bitte besser als wir, für euch, für uns, für alle, wir sind eins. Wenn ihr Hilfe braucht, holt uns hier raus – in unserem Zustand des Nichts sind wir für alles bereit. Es gibt nichts zu verlieren.


Dies ist, abgesehen vom Epilog, das Ende meines noch nicht existierenden Romans, an dem ich ab und an schreibe, und der mir schon lange im Hinterkopf sitzt. An dem ich verzweifle, weil ich zwischendurch nicht weiß, wie es weitergehen soll. Hier hatte ich wohl einen guten Moment, ich hatte diese Zeilen ganz vergessen. Vielleicht wird eines Tages ja doch noch ein ganzes Buch draus, mit mehr Motivation durch außen? 😉

Veröffentlicht von

lenkasause

Die Worte flossen aus meinen Fingern, ich verstehe sie erst jetzt...

2 Gedanken zu „Es gibt nichts zu verlieren“

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