Die Patientin

Was für einen seltsamen, wunderschönen Traum ich heute hatte. Alles war anders, beängstigend, da wir an unseren jetzigen Zustand gewohnt sind.

Wieso fällt es uns so leicht, uns vorzustellen, wie alles immer nur schlimmer wird? Wir denken: Ach, ist doch alles in Ordnung, so wie es ist, uns geht‘s doch gut. Ja, so gut, dass wir eben nicht ins Krankenhaus müssen. Aber eigentlich krankt es an allem, zu unspezifisch für jeden Arzt, denn wo anfangen?

Da es uns gut geht, kann es ja nur schlimmer werden, oder?

Die meisten der inneren Organe sind schon lange krank, aber sie funktionieren noch in unserem Sinne. Lange haben wir nichts davon bemerkt, weil es sich nicht an der Oberfläche, unserer Haut, gezeigt hat. Doch immer mehr Irritationen tauchen in letzter Zeit auf, unheilbar, weil tiefere Ursachen. Bisher lassen sie sich kurzfristig überdecken, aber wie lange noch? Machen wir weiter wie bisher, bis wir von innen abgestorben und nicht mehr zu retten sind?

Jahrelang hat man uns eingeredet, dass wir uns alles nur einbilden, dass genau das ein gesunder Zustand ist. Weil wir Jahre, ja Jahrhunderte lang mit der Behandlung gewartet haben, zwickt und kneift es nun an immer mehr Stellen, der Verfall ist nicht mehr aufzuhalten. Oder?

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Wir müssen mehr über Utopien nachdenken. Wie könnte eine bessere Welt in Zukunft aussehen?

Träumen ist wichtig.

Wer nicht weiß, wohin er gehen will, bleibt stehen, verirrt sich. Bewegungen sind nur möglich, wenn man Menschen unter einer gemeinsamen Hoffnung vereint, wenn man ein Ziel vorgibt, in dessen Richtung zu gehen sich lohnt.

Träumt mit mir!

In nächster Zeit folgen hier weitere Texte zum Thema Utopie – Wie könnte unsere Welt aussehen?

Zum Problem der Textanalyse

Von Anfang an lernt man es, und lernt man es falsch (zumindest ist es mir so ergangen). Jede Art von Text, ob lyrischer, dramatischer, prosaischer, muss in seine Einzelteile zerlegt werden und darf nur auf eine Lesart gelesen werden – derjenigen, die dem Bewertenden gefällt. Wer also andere Bilder mit den zu analysierenden Worten verbindet, hat den Text nicht „verstanden“. Dabei ist das genau der Ansatz, der Menschen das Lesen verdirbt! Wer Kindern und Jugendlichen ein Muster aufzwingt und sie unter Druck setzt, „richtig“ zu lesen, verdirbt es ihnen (ist natürlich nicht nur beim Lesen der Fall).

„Verstehen“, also mit dem Verstand eine Sache und in diesem Fall einen Text zu erfassen, wird diesem nie gerecht werden, insofern es sich um einen literarischen handelt. Es gibt natürlich noch viele andere Arten von Texten, wie den wissenschaftlichen, die vor allem mit dem Verstand geschrieben und darum auch nur über diesen zu begreifen sind.

Literarische Texte aber müssen im Leser resonieren, sie müssen etwas in ihm zum Schwingen bringen, einen Nachhall erzeugen, ja bisweilen sogar ein Erdbeben, und allein darum sollte es bei einer Textbesprechung gehen: Spricht mich der Text an und inwiefern? Welche Bilder vermittelt er, mit welchen erzähltechnischen Mitteln tut er das? Kunst und damit auch das Schreiben ist subjektiv und kann entweder als schön oder hässlich, ansprechend oder abstoßend, gut oder schlecht empfunden werden.

Die in der Textanalyse leider zu beliebte Frage, „was der Autor uns damit sagen will“, kann und sollte niemals beantwortet werden müssen. Denn es gibt nicht die eine Antwort (wenn es sich nicht gerade um einen Text mit Agenda handelt). Der Autor hat das, was sich in ihm zusammenbraute, überfließen lassen auf Papier. Ohne an eine Leserschaft zu denken (wie gesagt, das ist das Ideal).

Die Bilder aus seinem Innersten stehen übersetzt in uns bekannte Worte Schwarz auf Weiß. Der Leser nun geht mit allen seinen eigenen Bildern, seiner eigenen Welt, an den Text heran. Ihn lesend, entfalten sich aus den Worten eigene Bilder in seinem Innern. Sie lösen Erinnerungen aus, an Erlebnisse des Lesers, an Erfahrungen, Menschen, alle Arten von Sinneseindrücken. Wenn jeder Mensch eine eigene Welt ist, wie könnte man sich jemals anmaßen zu wissen, was genau ein anderer Mensch mit seinen Worten „sagen wollte“, was er dabei fühlte, dachte? Selbst wenn er es noch so explizit tut, kann es sich dabei um eine Metapher, ein Wunsch- und Traumbild handeln und rein fiktiv sein. Es ließe sich wenn überhaupt fragen: Was sagt dieser Text mir selbst? Was ziehe ich daraus? Welche Stellen sprechen mich an und warum ist das so? Wieso gefällt mir dieser Text nicht, was daran stößt mich ab?

Es ließe sich daraus ein langer Essay schreiben, aber ich mache hier erstmal Pause. Ich habe das Thema zu meiner Doktorarbeit gemacht, wo ich dafür plädiere, auf den Text allein einzugehen, ohne ihn nur unter einem Theoriefilter zu sehen und ihm so seines Zaubers zu berauben. Natürlich ist das ein Ideal, ganz frei von Filtern sind wir nie, aber den Versuch ist es wert.

(Halle, 20.03.22)

Was ist ein schöner, ein „guter“ Text?

Ein guter, schöner Text ist ein aufrichtiger. Nicht konstruierter. Die Worte müssen vom Herzen her fließen, sie müssen die Bilder des Herzens und der Seele übersetzen in unsere Sprache. Sie dürfen nicht vom Ego kommen, also allein vom Kopf und aus der Angst heraus, sie müssen frei sein. Sie dürfen nicht belastet sein mit Berechnungen, mit Wünschen, mit nach außen gerichtetem Streben.

Es ist die einfache, schlichte Sprache, die unsere Seelenbilder beschreiben kann, ihre Gestalt ist die der Poesie.

Ein Text, in dem etwas gesagt werden soll, der eine Agenda hat, kann niemals ein poetischer sein. Er ist zu voll des Wollens, des Strebens nach etwas, das immer mit dem Ego zu tun hat. Er beobachtet nicht mehr, was ein schöner Text tut, er be- und verurteilt, er sieht die Welt durch einen Filter.

Zu oft kleben an den Worten die Wünsche, Träume, Sehnsüchte, Ängste der Verfasserin oder des Verfassers, sie werden dadurch schwer. Träume, ja, sie will ich lesen, aber jene aufrichtigen, die von einer anderen Welt erzählen, die uns glauben machen, dass Veränderung möglich ist. Das ist ein Punkt. Gleichzeitig darf die Literatur nicht müssen, sie ist frei und steht für sich alleine.

Es ist das besondere Potenzial literarischer Texte, auf Missstände aufmerksam zu machen, den Zeitgeist zu beschreiben und damit in das kollektive Gedächtnis einzugehen.


(Es folgen in nächster Zeit mehr Beiträge zum Thema Literatur, Texte, Tipps und Tricks. Alle Beiträge sind zu finden auf der Seite „Gedanken zu Literatur allgemein“)

Als nächstes: Wie schreibe ich authentische, „gute“ Texte?

Weitere Themen: Was ich von der herkömmlichen Literaturwissenschaft und herkömmlichem Deutschunterricht halte, warum „gute“ Literatur relativ bzw. subjektiv ist – und gleichzeitig auch nicht, Meinung zum aktuellen Buchmarkt etc.

Inspiriert mich: Schreibt mir gern, was Euch interessiert, wo Ihr Probleme beim Schreiben habt und worüber Ihr gern in Austausch gehen würdet!

Das Rad dreht sich weiter

Wir haben es satt, zu funktionieren. Entspannen, meditieren, alles, um weiterhin psychisch und physisch funktionieren zu können, damit das Rad sich weiterdreht, die große Mühle, unter der wir am Ende alle landen, während sich die Müllersleut hinter schützendem Fenster auf bequemen Couchen die Bäuche halten vor lachen.

Nur weiter so, weiter so, entspannt euch, nutzt alle Meditationstechniken, die es so gibt, Hauptsache, ihr dreht weiter am Rad. Gott ist tot, genauso wie euer Glaube an ihn und „seine“ Institutionen, was glaubt ihr, wer hat ihn umgebracht? Solange ihr weiterhin an diesen einen Gott glaubt, dem wir so viele Namen gegeben haben, so unterschiedliche Gestalten, ist alles gut, und ihr haltet euch für Atheisten, ha!

Wir haben es satt zu funktionieren, wollen einfach loslassen, doch wenn sich die Mühle weiter dreht, werden wir zermalmt, zu Matsch, von den anderen in den Boden getreten, mit dem wir bald eins sind, niemand interessiert sich mehr für uns, sie steigen auf und über uns, blicken nur nach vorne und oben, die goldene Möhre über den Köpfen. Niemand interessiert sich für die da unten, sie haben sogar Angst, zu genau hinzusehen, wer weiß denn schon, was sie dann sehen könnten? Sich selbst? Ihre Zukunft? Die Folgen, Fehler, Fatalitäten ihres Handelns? Lieber mit Blick auf den glitzernden Lohn das Rad am Laufen halten, immer weiter, immer schneller, immer besser, irgendwann kommen wir doch bestimmt dorthin, und wenn wir uns ganz besonders anstrengen, vielleicht ja sogar dort hinauf, in die warme Stube? Lachen ertönt von drinnen.

Wir haben es satt zu funktionieren, euer Brot zu essen, eure Spiele zu spielen, auf unsere geistige und körperliche Gesundheit zu achten, wozu? Um nicht systemirrelevant zu werden? Wer bestimmt, wer relevant ist und wer in den Restmüll kann? Wie sollen wir angesichts der Zustände der Welt, angesichts der Zerstörung, der Gewalt, die der Mensch seinesgleichen antut, nicht vollkommen unseren Verstand verlieren?

Wir müssen funktionieren, es hilft nichts, wir müssen überleben. Wir dürfen nicht unters Rad kommen, wollen gleichzeitig aber nicht nur ein Rad im Getriebe ihres Luxusautos sein. Wer soll sich in diesem Bewusstsein nicht völlig zerreißen?

(Halle, das erste Mal am 12.03.21 veröffentlicht, dann wieder als Entwurf gespeichert, aber heute, ein Jahr später, ist es so aktuell wie nie für mich)