Oma ohne Augen – eine Gruselgeschichte

Heute morgen schlief ich noch einmal ein und mir träumte etwas wahrlich Gruseliges.

Der Traum spielte in Regensburg, in dem Reihenhaus, in dem meine Großeltern bis vor einem Jahr noch gewohnt haben, wo meine Mama aufgewachsen ist und ich irgendwie auch, dort, wo sie für immer wohnen und ich sie immer besuchen werde.

Statt vorne an der Haustür zu klingeln, ging ich hintenrum, über den Garten, das war schon immer der schönere Weg und hinten war auch meistens die Tür offen. Ich kam, um meine Oma zu besuchen, oder auf sie aufzupassen, oder beides, mittlerweile ist das fast dasselbe. Die Gärten sahen anders aus, weniger gepflegt, aber auch kein Wunder, die Natur erobert sich Erinnerungen zurück wie die Orte, an denen sie leben.

Ich öffnete das quietschende Gartentor und verschloss es hinter mir mit dem Riegel. Ich ging vorbei an den Gemüsebeeten, den Tomaten, dem schönen, perfekt gewachsenen Apfelbaum in der Mitte. So viele bunte Blumen.

„Griasde, Oma!“, rief ich vorsichtshalber, um sie nicht zu erschrecken, wenn ich jetzt zur Tür hereinspazierte.

„Lena, schnell, komm her!“, hörte ich meine Oma panisch aus der Küche rufen, und beeilte mich jetzt.

Als ich ins Esszimmer trete, sitzt da meine Oma auf der Eckbank und glotzt mich aus leeren, schwarzen Augenhöhlen an. Ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Das rechte Auge liegt vor ihr auf dem Tisch, das linke hängt noch an einem Strang aus dessen Höhle heraus.

„Lena, bitte, du musst mir meine Augen wieder einsetzen, sie san mir rausgfallen, wie ich meine Brille richten wollt“, krächzt sie schwer verständlich, noch schwerer als sonst, seit sie wegen Parkinson so Schwierigkeiten damit hat.

Ich sehe leere Pringles—Chipsdosen vor ihr stehen und in einer Art Rückblende (Träume sind eben wie Filme) meine Oma mit den Chipsdosen auf ihr Gesicht schlagen, die Ränder der Öffnungen in Richtung ihrer Augen. Hä? Was wollte sie denn damit erreichen?

Das Ergebnis ihres Experiments liegt nun vor mir, und verzweifelt weine ich, sie müsse in so einem Fall doch den Krankenwagen rufen und nicht mich. Was sollte ich mit Augäpfeln tun, barg ich sie wie abgeschnittene Finger in Eiswürfeln? Konnte ich sie einfach einsetzen und dann funktionierten sie wieder? Immerhin war das doch ein Traum, oder?

Ich weiß nicht, wie es ausgegangen ist, ich bin zum Glück aufgewacht. Als ich hinunter zum Frühstück gehe, sitzt meine Oma zeitunglesend und espressotrinkend am Esstisch, mit beiden gesunden Augen blickt sie mich munter an. Welchem Geist bist du denn begegnet? Wundert sie sich und beisst in einen Butterkeks.

[E., 17.10.23]

Derzeitige Tischdekoration in der „Mischbattrie“ in Halle/Saale

Veröffentlicht von

lenkasause

Die Worte flossen aus meinen Fingern, ich verstehe sie erst jetzt...

7 Gedanken zu „Oma ohne Augen – eine Gruselgeschichte“

  1. liebe lena,

    mir fällt dazu ein, dass morbus parkinson meist auch augenprobleme und sehstörungen mit sich bringt, dass betroffene also ihr augenlicht, ihre augen, teilweise verlieren.

    vielleicht hast du ja davon gelesen oder gehört, irgendwas dazu „so nebenbei“ aufgeschnnappt, und der traum hat diesen „tagesrest“ verarbeitet … träume gebrauchen nicht selten drastische bilder …

    liebe grüße❣️
    pega

    ein link noch anbei:
    http://www.parkinson-selbsthilfe.at/fachbeitraege/parkinson-und-das-auge-teil-2/#:~:text=Parkinsonassoziierte%20Beschwerden%20k%C3%B6nnen%20sein%3A&text=Lid%C3%B6ffnungsapraxie%20(%3DLid%C3%B6ffnungsunf%C3%A4higkeit)-,Lichtempfindlichkeit,Leseprobleme

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