Gefangen im Kopf

Ich liege auf der Wiese, über mir grüne Blätter im Wind, in meinem Gesicht Sonne.
Nichtsahnend. Entspannung versuchend.
Plötzlich: Ich, in meinem Kopf gefangen. Ich, von innen anklopfend, schreiend. Lasst mich hier raus!

Gefangen in meinem Kopf, die Gedanken kreisen wild, stürmen wirbel,
saugen mich ein.
Jetzt sitze ich fest.
Was tat ich zuvor, was danach, wie geht normal leben?
Mein Kopf ein Stein, Betonklotz.
Ich will weinen, aber kann nicht.
Alles erscheint so schwer, unmöglich, gegen mich.
Oh, wie langweilig es hier doch ist, immer die selben angsterfüllten Gedanken. Enge, engst.
Ich klopfe, schlage von innen gegen meine Schädeldecke.
Lass mich hier raus!
Gerade eben noch war alles so leicht, wann ist das aus, wieso kann ich nicht einfach mal sein…

Entspannung misslungen. Wie ausbrechen?
Bewegung, ich fahre mit dem Fahrrad in Richtung eines in meinem Herzen wohnenden Menschen.
Begegnung, Kinderlachen, im Moment sein. Alles halb so wild.
Kannst jetzt wieder raus, Lena, war ein Missverständnis und nur aus Sicherheitsgründen.

Na, vielen Dank dafür, Quarantäne.

(Halle, 13.07.22)

Und was danach kommt

Stell dir vor, wir gerieten an die Grenzen unseres Denkens. Was liegt dahinter? Wer kontrolliert diese Grenzen? Sind sie echt oder so wie Landesgrenzen, von irgendwem in der Vergangenheit beinahe willkürlich über die Landkarte gezogen?
Wenn mein Denken bis hierhin reicht, folgt danach dein Denken? Grenzt unser aller Denken aneinander wie Puzzleteile? […]

Grenzen ziehen Striche zwischen Du und Ich, sie gaukeln Sicherheit vor, bis hierhin und nicht weiter. Das Fremde auf der anderen Seite macht Angst, denn was wir nicht kennen, das Unbekannte, hat stets diese Wirkung. Was, wenn wir uns im Zwischenraum zwischen zwei Grenzen, im Niemandsland treffen, wir öffnen unsere Türen und treten einen Schritt hinaus. Wir beide verlassen das Bekannte, wir beide wissen nicht, was der jeweils andere hinter seinen Mauern verbirgt. Welche Geschichten wachsen darin? Welche hat er dort vergraben? Erkennen wir unsere Unkenntnis an, können wir von vorne beginnen. Wo ist vorne? Der Anfang, bevor wir jegliche Grenzen zogen: unser Menschsein.


Der Anfang und das Ende aus meinem Text für eine Literaturzeitschrift, deren Thema des kommenden Heftes sein wird: Wirklich/Unwirklich – Über die Grenzen der Wahrnehmung und des Denkens. Die letzten Wochen habe ich an diesem und an einem anderen Text gearbeitet, immer mal wieder, Stück für Stück, meine Konzentration reicht derzeit für drei bis vier Sätze, wenn überhaupt. Um mich mal wieder zu melden und für den kleinen Denkanstoß/Inspiration, bekommt ihr hier ein paar Zeilen geschenkt.

Mein Brainfog und meine Fatigue ist z.Z. wieder heftig, ich weiß gar nicht, was der Auslöser war. Die paar guten Gedanken, die ich ab und zu noch habe, lassen sich nicht mehr greifen, und wenn doch, entfleuchen sie sehr schnell, sind sie zu glitschig, um sie festzuhalten. Es ist echt traurig, ich bin echt traurig, weil ich nicht glauben kann und will, dass das jetzt für immer so bleibt. Mit Post Covid kommt auch ME/CFS einher, und leider sieht das bei mir ganz danach aus. Ich gebe mich zwar die meiste Zeit optimistisch und positiv, aber ich verdränge auch, tue oft so, als wär alles okay, weil kann ja auch nicht die ganze Zeit klagen, und die Opferrolle liegt mir sehr fern. So, und jetzt muss ich mich hinlegen (der einzige Zustand, in dem mir nicht alles wehtut nach gewisser Zeit), bin müde geworden vom Schreiben. Wie konnte ich mal eine ganze Doktorarbeit schreiben? Jetzt verstehe ich oft nicht mal mehr eine Seite davon…

[Halle, 9.6.23]

Finderglück

Ich sei sehr leistungsorientiert, so mein Therapeut. Oh Gott, genau das, was ich nicht mag, was ich kritisiere an dieser Gesellschaft. Gilt auch hier mal wieder, dass man oft genau das am anderen (in diesem Fall der Gesellschaft) nicht mag, was man an sich selbst nicht mag?

Es stimmt, seit ich wegen Long Covid nicht mehr „funktioniere“, seit ich keine „Leistung erbringen“ kann, seitdem geht es mir psychisch immer schlechter. Wer bin ich, wenn ich nicht mehr arbeiten kann? Wenn ich nicht mehr in dem Maße denken kann, wie ich es vorher tat? Man bedenke, ich habe eine Doktorarbeit geschrieben und es hat mir sehr großen Spaß gemacht, Lösungen für theoretische Probleme zu suchen und zu finden. Gerade kann ich das nicht mehr, und es plagt mich das schlechte Gewissen. Alle anderen arbeiten, tragen etwas zur Gesellschaft bei, verdienen ihr Geld selbst, und ich? Bin unnütz, zu nichts zu gebrauchen, weiß nicht mal, wer ich noch bin. Wirklich?

Dieser Zustand ist eigentlich sehr meditativ, und ich könnte viel lernen. Ein Schritt nach dem anderen, eine Sache nach der anderen, ich stecke meine Aufmerksamkeit in das Essen vor mir, in den Schritt vor mir, in den Menschen vor mir. Nichts anderes zählt, nur der Moment, der meine ganze Aufmerksamkeit hat. Was danach kommt, weiß ich nicht, und was davor war, habe ich schon vergessen, aber es spielt auch keine Rolle mehr. Grundsätzlich bin ich mir dessen ja bewusst. Aber an der Umsetzung haperts, denn wer hat dafür wirklich Zeit? Die Gesellschaft ist zu vielschichtig, alles ist zu komplex und viel, als dass wir unser Augenmerk nur auf eine Sache nach der anderen richten dürften. Oder?

War es Osho oder Marc Aurel, der gesagt hat, früher waren wir ein Stein oder ein Baum und jetzt sind wir ganz oben angelangt, wir sind ein Mensch und doch unzufrieden?

Warum sind wir ständig so unzufrieden mit allem? So auf der Suche, unruhig, immer am Machen und Tun, alles muss einen Sinn haben, wir brauchen ein Ziel, wir dürfen nichts Sinnloses machen. Wir brauchen einen Lebenssinn, ein Ziel, auf das wir zuarbeiten, das kann auch einfach das Glück sein, das vielzitierte, das uns doch nur eingeredet wird, damit wir Konsumieren und Funktionieren und in all dem Suchen das eigentliche Glück übersehen. Weil wir vorbeilaufen, obwohl es doch schon neben uns liegt, weil wir ihm nicht die Tür öffnen, obwohl es schon die ganze Zeit anklopft.

Nein, nein, es kann so einfach nicht sein, wir müssen, um wahrhaft glücklich zu sein, an uns arbeiten, wir müssen dafür das tun, oder dies, wir müssen dorthin gehen, das dort kaufen, den dort finden, wir müssenmüssenmüssen, und so sind wir unser ganzes Leben in Unrast, immer weiterweiter, Stillstand ist der Tod, war das nicht so? Still stehen bleiben, aufmerksam die Gegenwart fühlen, das ist das Leben. Es geht sowieso weiter, irgendwas ist immer, wirklich still ist das Leben selbst nie.

Aber wir, wir sollten mal still werden, stehen bleiben, aufhören, nach außen und immer weiter zu laufen. Ist doch schön hier. Welch Wunder wir doch sind. Im Guten wie im Schlechten. Bleiben wir stehen, hört die Welt nicht auf, sich zu drehen. Wir nehmen nur endlich wahr, und ach, sieh mal, da liegt ja unser Glück, fast wär ich draufgetreten. Ich hebs auf, kann ja doch nicht so liegenbleiben. Finderglück. Ich lächele – und es lächelt zurück.

[Essenbach, 22.12.22]

Ein Mensch, yippie

Wer bin ich ohne meine Fähigkeit zu denken? Wenn ich nichts „leisten“, nicht „produktiv“ sein, nicht „funktionieren“ kann? Wer bin ich dann? Traurig, dass ich das so sehr verinnerlicht habe, obwohl ich diese „Leistungsgesellschaft“ doch so kritisiere (tja, die Welt ist ein Spiegel, unbewusst missfiel mir wohl diese Seite an mir selbst)…

Long Covid hat mir das genommen, wovon ich dachte, dass es mich ausmacht: Kreativität, Denken, Schreiben, Lesen, Organisation, Zeitmanagement (meine Stärken laut Lebenslauf). Wer bin ich ohne sie?

Ich bin ein Mensch, yippie. Ich atme, sehe, rieche, schmecke, höre, fühle. Ich liebe. Ein Wunder. Was wir erschaffen haben, was wir mit eigenen Händen bauen und was die Natur uns gegeben hat. Meine Träume, ein eigenes Reich, ein Ausflug in andere Dimensionen. Wunder, für selbstverständlich genommen, lästig. Zu viel des Guten, kein Maß gefunden, unsere Gabe grenzenlos wird unser (aller?) Unglück.

Wie meditativ, achtsam jeden Schritt zu gehen, weil sonst zu schnell und viel und ungut. Öftermaliges Hinterfragen dieser Gesellschaft, in der „langsam“ nicht geht und gleichzeitiges Denken an 1000 Dinge unabdingbar ist. Annehmen dieses Zustandes, in dem ich weniger denken und mich sorgen kann als sonst – auch nicht schlecht.

So, Konzentration aufgebraucht, bitte weiterdenken für mich.

Grillen bezirpen das Nichts

Über meine Long Covid/ Post Covid-Erkrankung im neunten Monat

Gerade wollt ich was schreiben. Hab es geschafft, mich an den PC zu setzen, Schreibprogramm aufgemacht, leere Seite vor mir. Und sie bleibt leer, denn alle brillanten Sätze, die mir vorhin in den Kopf kamen, sind wie weggeblasen. Alles leer, weg, weiß, Wüste, in der nichts passiert, außer dass diese runden Dinger an mir vorbeifliegen, ein leiser Windhauch. Die Grillen bezirpen das Nichts.

Schlimm ist, immer wieder die Erwartungen zu enttäuschen. Treffen abzusagen. Mit Menschen, die ich gerne mag, oder die ich gerne mögen könnte, wenn wir die Bekanntschaft intensivierten. Aber das ist nur schwer möglich. Ich weiß nämlich nicht, wie es meinem Körper in einer Woche gehen wird, oder in einem Monat, oder in zwei Tagen. Einsamkeit vorprogrammiert.

Sehr schwierig für mich ist auch, überhaupt zu akzeptieren, dass ich diese Krankheit habe, die jetzt immer öfter in den Medien auftaucht. Dass ich Hilfe brauche, dass ich einfach nicht arbeiten kann. Warum ich (aber warum auch nicht ich, ne)?

Schlimm ist diese Unfähigkeit zu denken. Ich kann kaum einen zusammenhängenden Gedanken fassen, und es ist unglaublich harte Arbeit, mich gerade auf diesen Text zu konzentrieren. Danach muss ich mich vermutlich erstmal für 20-60 Minuten hinlegen und schlafen. Wobei „Schlaf“ euphemistisch ausgedrückt ist, es ist eher ein halbtotes Erstarrtsein, unfähig jeder Bewegung bei vollem Bewusstsein.

Schlimm ist aber auch dieses Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden, v.a. von Mediziner:innen, die mir doch eigentlich helfen sollten. So gut wie jeden Tag zweifle ich an mir selbst, komm mir komisch vor, alles Einbildung, Psyche, Faulheit? Besser wird es nicht durch den Konsum von Social Media, wo so viele Menschen die Zeit ihres Lebens zu haben scheinen, beruflich durchstarten, in Urlaub fahren, Sport machen, Partys feiern – oder hald einfach „normale“ Dinge tun.

Letzte Woche habe ich mich endlich mit einem anderen Post-Covid-Patienten connected. Von ihm habe ich wertvolle Ärzte-Tipps und einen Funken Zuversicht. Denn mit dieser Krankheit fühle ich mich meistens ziemlich allein. Nach acht (!!!) Monaten habe ich endlich die Diagnose ausgestellt bekommen, obwohl die Symptome von Anfang an eindeutig waren. Ein langwieriger (Fach-)Arztmarathon begann, denn Termine bekommt man da höchstens alle vier bis fünf Wochen, und das auch nur mit dem Vermerk „dringend!“. Ich war irgendwann sooo müde, wollte zu keinem Arzt mehr gehen. Warum auch, wenn dich keiner ernst nimmt bzw. niemand wirklich weiß, was tun? Ja, alle Werte stimmen, in der Lunge ist nichts zu sehen, und an manchen Tagen geht es mir relativ gut.

Das sind dann die Tage, an denen ich mir denke: Vielleicht ist ja alles gar nicht so schlimm, vielleicht ist vieles nur Einbildung? Bis ich dann wieder vor Atemnot auf halbem Weg stehen bleiben muss, bis mein ganzer Körper kribbelt und schmerzt, nur weil ich mich gerade aus Versehen zu schnell bewegt habe. Nur weil ich wieder mal zu wenig Pausen eingelegt, zu viel gedacht, gelesen, gelacht habe. Und selbst dann noch denke ich mir, dass das ja vielleicht daran liegt, dass ich so wenig Sport gemacht habe die letzten Monate, und das ja dann vielleicht nur Übungssache ist.

Wie soll ich da 40 Stunden arbeiten? Etwas, was ich mir die letzten Monate vorgemacht habe. Vielleicht, habe ich mir eingeredet (und wurde mir auch eingeredet, aber selbst schuld, wenn ich vor anderen oft so tue, als wär alles easy, nur um sie nicht zu belasten), wird alles gut, wenn ich erstmal wieder arbeite, wenn ich mehr zu tun habe, wenn ich wieder mehr unter Menschen bin. Ich muss doch mal wieder was tun, muss produktiv sein, muss mein eigenes Geld verdienen, meine Karriere starten, muss, muss, muss. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Fest steht, dass es mir schwer fällt, mich längere Zeit am Stück ( = fünf bis zehn Minuten) zu konzentrieren, dass ich unglaublich schnell ermüde, dass ich Schwierigkeiten habe, mit anderen Menschen zu reden, längere Sätze zu sprechen, dass schon der Arbeitsweg mich so ermüden würde, dass ich danach noch kaum etwas zustande bringe. Fest steht, dass ich mir endlich helfen lassen muss, aber es ist sooo anstrengend, so ermüdend…

Ich will wieder arbeiten, ich will so gerne an allen Veranstaltungen und Partys teilnehmen, ich will so gerne meinen Freundeskreis erweitern, Ausflüge unternehmen, ich will so gerne wieder denken können und Texte zu so vielen Themen schreiben, es gibt so viel zu sagen, aber es geht einfach nicht. Und das, obwohl es mein pures Vergnügen ist, mit dem Kopf zu arbeiten, ihn mir zu zerbrechen über gesellschaftliche, philosophische, theoretische Probleme. Wissenschaftliche Texte lesen, denken, neue Ideen, zusammenhängende Texte zu formulieren, das war bis vor kurzem mein Leben! Und ist nicht mehr möglich.

Je mehr ich erzwinge, desto müder werde ich, desto mehr tut alles weh, desto schlechter geht es mir im Nachhinein. Meine Tage durchzuplanen war vorher nie mein Ding, aber anders geht es nicht. Der Akku muss geladen, darf nie ganz leer sein. Vielleicht geht es mir gerade auch nur deshalb so „gut“, weil ich viel Zeit habe, mich zu schonen und ich relativ wenig Verantwortlichkeiten habe. Das ist mein Glück. Andererseits könnte genau jetzt der Ernst des Lebens beginnen und ich – ich hab keine Kraft dafür, bin zu müde, lass mal verschieben.

[Halle, 5.12.22]

Menschen, die aus Fenstern starren

Alles schmerzt wie nach
einer Woche ohne Schlaf.
Gestern Marathon gelaufen oder die Nacht durchgefeiert? 
I wish - jeden Tag, die letzten fünf Wochen.

Keine Erinnerungen, keine Pläne,
nur das Jetzt.
Kein Streit und unnötiges Kopfzerbrechen, 
keine theoretischen Konstrukte wälzen, auseinanderbrechen, neu zusammensetzen. 

Kein Kuchen- und lauer Frühlingsabendduft,
oh, die Luft nach Sommerregen,
morgens um sechs,
nur die Vögel und ich.

Treppen, Berge, Hügel:
keine Luft, Lungenschmerzen, 
Pause. 

Ich genieße den Moment, muss einfach, 
keine Wahl.
Bewusst jeden Schritt gehen, eins nach dem anderen langsam erledigen - 
klingt doch nach purer Meditation, oder?

Bitte, Politik, 
hör nicht auf die „Spaziergänger“ 
wie damals auf Pegida, 
lass dich nicht von Angst vor Minderheiten leiten. 

Hab lieber Angst vor einer Armee aus Zombies, die wir werden, je mehr wir von Corona durchseucht sind. 
Obwohl - wer hat schon Angst vor Menschen, die eh keine Kraft haben, sich aufzuregen, geschweige denn längere Texte zu schreiben oder sich länger zu unterhalten?!

Vielleicht wird deshalb noch zu wenig darüber gesprochen, weil es ein wirklich seltsamer Zustand ist, der Nichtbetroffene schnell mal zu Kommentaren verleitet wie: Mach was für deinen Kreislauf, vielleicht hast du zu wenig Vitamin D, brauchst bestimmt einfach nur mal Urlaub. Danke für die Tipps und seid versichert: Wenn ich was anderes als nach jeder „kleinen“ Anstrengung rumliegen könnte, würd ich das gewiss auch gerne tun. 

Leider schleichen sich solche Kommentare in den Kopf und richten dort immensen Schaden an: Selbstvorwürfe, Misstrauen dem eigenen Körpergefühl gegenüber, Nichternstnehmen der Krankheit, die dann umso heftiger und länger bleibt. 

Anders aber und etwas zynisch gedacht - 
wenn mehr Menschen Long Covid hätten, gäb es keinen Krieg mehr, weil alle zu müde dafür wären und einfach nur ihre Ruhe wollten. 
Auch nicht schlecht, und doch viel zu umständlich…

Nun aber erstmal ein frohes Osterfest Euch allen, bleibt oder werdet schnell wieder gesund und danke fürs Lesen 🙏💚

(Essenbach, 16.4.2022)

Bestandsaufnahme nach zwei Jahren Pandemie

Ich spare Energie. Meine Energie. Seit einiger Weile, es hat sich eingeschlichen, überlege ich mir doppelt und dreifach, mit wem ich meine Zeit verbringe und ob ich nicht doch lieber alleine bleibe. Ich sehne mich so sehr nach einer großen fremden Menschenmenge (und am liebsten viele bekannte Gesichter), jede Nacht träume ich davon, und gleichzeitig kann ich mir das nicht mehr vorstellen. Vor zwei Jahren könnte auch in einem anderen Leben gewesen sein, so unbeschwert, alles als natürlich hinnehmend. Gewiss hat sich seither viel verändert, unabhängig von Viren: Ich bin 30 geworden, habe meinen ersten richtigen 40-Stunden-Job. Da ist automatisch weniger Unbeschwertheit drin, und auch, dass ich mehr meine Ruhe brauche, mehr ankommen will.

Ich sehne mich so sehr nach einem Gespräch mit mir unbekannten Menschen, neuer Input, für meinen Intellekt, für meine schriftstellerischen Avancen. Gleichzeitig habe ich scheinbar völlig verlernt, einfach nur Small Talk zu führen.

Heute kam mir der Gedanke, dass ich wegen der Maske ja auch gar nicht mehr meine Gesichtszüge bewegen muss, zumindest unterhalb der Augen, da bin ich wirklich faul geworden. Klar, wenn ich jemanden anlache unter der Maske, dann mache ich die Augen groß und ziehe die Brauen nach oben. Es kommt mir aber oft so vor, als würde ich lediglich meine obere Gesichtshälfte einmal schrumpeln, all meine neuen und alten Falten herzeigen, und was hat das denn für einen Sinn. Deswegen bin ich jetzt mimikfaul, und das ist nicht gut für ein Gespräch mit neuen Leuten und ohne Maske. Richtig eingerostet bin ich. Jedes Mal, wenn ich in letzter Zeit auf einen halbwegs Bekannten getroffen bin und wir kurz gesprochen haben, habe ich mir danach gedacht, wie komisch hast du dich denn jetzt verhalten und was hast du überhaupt gesagt? Die Selbstgespräche nach dem eigentlichen Gespräch – wer kennt sie nicht. Am besten noch unter der Dusche. Aber da sing ich zur Zeit.

Ich habe mich so sehr eingeigelt, dass es mir manchmal sehr schwer fällt, da wieder rauszukommen. In den letzten zwei Jahren habe ich mich außerdem mit Arbeit zugehäuft, immer beschäftigt sein, immer irgendein Projekt in der Hinterhand haben, ja keinen Leerlauf. So konnte ich dieses Nichts um mich herum, die erdrückende Ungewissheit, diese ständig wachsende und sterbende Hoffnung besser ertragen.

Mich auf neue Leute einzulassen hat mir immer Spaß gemacht. Sie zusammenzubringen, Treffen zu organisieren. Doch beim letzten Mal, wo es doch so gut angefangen hat, ist es nicht schön geendet, und das wegen dieser vermaledeiten Pandemie. Unterschiedliche Herangehensweisen führten zu einem radikalen Schnitt, der meinetwegen nicht permanent gewesen sein müsste. Seitdem habe ich mich noch schwerer getan, mich auf neue Leute einzulassen, weil ich unsicher geworden bin. Ich kann meine Energie nicht für neue Leute verschwenden, die im nächsten Augenblick wegen einer Meinungsverschiedenheit keinen Kontakt mehr haben wollen.

Ich brauche meine Energie, um mit dieser ganzen Situation klarzukommen. Mit allem. Wie gern würde ich oft einfach wieder in den Mutterschoß zurückkriechen, und am Anfang der Pandemie habe ich genau das getan. Einfach im Elternhaus vor der Welt verstecken, es ist so wunderschön und einfach. Aber leider keine Lösung.
Während wir im Homeoffice sitzen, können wir nur die Nachrichten aus der Welt lesen, die von immer schwieriger werdenden Zuständen berichten, von 160 Millionen Menschen mehr in Armut, von reicher werdenden unfassbar Reichen; die einen bauen sich die größten Jachten der Welt und lassen dafür historische Brücken abbauen, die anderen verhungern zur selben Zeit millionenfach. Wie soll man das alles ertragen, ohne nicht absolut zu verzweifeln?

Ich suche mir nun mein nächstes Projekt, vielleicht ja das, das ich schon seit Jahren umgehe. Wenn es wieder möglich ist, will ich mir auch neue Gruppen von Menschen suchen, mit diesen Leidenschaften austauschen, entwickeln, ausprobieren. Die Hoffnung wächst immer wieder aus vermeintlich toter Wurzel, ein zartes Pflänzchen, das ich hege, und bei dem ich auch dieses Mal hoffe, dass es groß und stark wird. Man kann nie wissen, und jedem Anfang…

(Halle, 06.02.22)

Freigang

Öffnen. Das Leben „beginnt“ wieder. Endlich ist Sommer. Alle fliegen in den Urlaub. Wie schön das Leben ist. War da was?

So passend, wie plötzlich die Zahlen sinken. Vor zwei Wochen waren wir noch bei fast 200, jetzt sind es nur noch 30. So passend, denn waren da nicht gerade noch sinkende Umfragewerte der Regierung, waren da nicht Betrugsskandale, die aber sowieso schon vom lustvollen Aufschrei über den Betrug der Testcenter übertönt wurden?

Gebt den Leuten ihren Urlaub und ihre Biergärten, lasst sie wieder in großen Mengen einzeln auf Partys gehen, dann hören sie auf, in großen Mengen zusammen auf Plätzen zu stehen.

Nach über einem Jahr Arbeit im „Homeoffice“ habe ich mich an das Gefühl gewöhnt, nur in meinem Zimmer sein zu können. Draußen unter Menschen, da lauert der Tod. Oder zumindest Quarantäne, was in einer kleinen Vierer-WG wirklich zu verhindern ist. Ich gehöre zu den Menschen (ich bin mir sehr sicher, nicht alleine zu sein), die von den plötzlichen Öffnungen eher überfordert sind. Ich bin noch keiner dieser „Premium“-Menschen mit zwei Impfungen, ich bin auch keine Genesene. Nein, ich hatte sehr viel Glück bisher, und doch nütze ich der Gesellschaft so wenig, dass ich wohl erst am „Schluss“ in den Arm gepikst werde.

In diesen zwicke ich mich jetzt schon manchmal, einfach um zu prüfen, ob das wirklich ist, was ich sehe: Menschenmengen in den Parks, Tische und Stühle vor Restaurants und Cafés, auf ihnen Menschen, genüsslich ihren Cappuccino schlürfend. Freilich würd‘ ich da auch gern dazugehören, und wer sich nach langer Zeit mal wieder mit mehr als zwei Haushalten trifft, der weiß, wie glücklich das macht. Wahnsinn, wie schnell man sich mal eben die normalsten sozialen Dinge abgewöhnt. Monatelang habe ich vom Ende des Lockdowns geträumt, und jetzt ist er da und jetzt geht mir das zu schnell.

Der Lockdown hat meine Unbeschwertheit zerstört. Eingegraben. Irgendwo ist sie bestimmt noch. Ich geh’ sie mal langsam suchen.