Zu viele Umlaute

Ich liebe uns noch immer in diesem eingefrorenen Zustand, dieses perfekte, sehr verliebte Bild, ich liebe, was wir sein und werden hätten können. Doch das sind ein paar Umlaute zu viel für hier und jetzt.

Ich liebe uns für das, was wir sein und werden hätten können, ich liebe uns in exakt jenem Moment, blende vorher und nachher aus und mein gebrochenes Herz.

Versteht mich nicht falsch, ich bin froh darüber – auf eine gewisse Art, aber was bleibt mir auch anderes übrig. Ich liebe uns in anderen Dimensionen, was wir sein hätten können unter anderen Umständen, mit anderen Ichs.

Zu viele Umlaute.

Es ist die ewige Frage des: Was wäre, wenn… ? Sie zu beantworten ist unmöglich, doch sie hilft mir zu akzeptieren, was ist.

Wenn das so nicht geschehen wäre, wäre ich jetzt nicht hier. Wenn ich nicht diejenige wäre, die ich nunmal bin, und ich mag diese Person mittlerweile, habe sie akzeptiert, dann wäre ich nicht ich und wer weiß, was dann wäre.

Manchmal vermisse ich meine früheren Ichs, diese fröhlichen, unbeschwerten, vermeintlich.

Ich vermisse gar nicht jene Menschen auf den Bildern, nein, ich vermisse eher diese Momente des unbeschwerten, schwerverliebten Glücks, des Geliebtwerdens und des Liebens, des Wissens, die Welt steht mir offen und ich denke nicht weiter darüber nach, alles ist möglich. Ich vermisse die Schönheit, die sie mir entlockten, die Poesie, das intensive Fühlen.

So sehr das Hervorholen alter Bilder in Zeiten des Hungers natürlich ist, stillt es doch diesen nicht. Es macht uns hungriger, trauriger, blinder. Ernähren wir uns nur von Totem, sterben auch wir Stück für Stück, wir vergessen, echtes Essen zu essen. Wir werden selbst zur Hülle, vermeintlich voller Leben, aber innen tot. Ich verstehe das gut, ich vergesse zu essen bisweilen, weil ich zu müde, zu schwach, zu traurig bin; manchmal habe ich schlichtweg vergessen, wie essen geht und frage mich, wozu überhaupt. Und manchmal, je länger es her ist, umso öfter, habe ich einfach zu große Angst, dass man mich auslacht, weil ich nicht mehr weiß, wie das geht: Essen.

Das ist das Gefährliche am Zehren von alten Geschichten: Wir schmücken sie uns hübsch und unterhaltsam, dass sie unser Herz wärmen mögen in kalten Zeiten, wir malen sie bunt, um zu verdecken, dass sie schon lange verblichen sind.

Und darüber vergessen wir, neue, frische, unsere eigenen Geschichten zu schreiben.

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[Essenbach 2.4.24]

Veröffentlicht von

lenkasause

Die Worte flossen aus meinen Fingern, ich verstehe sie erst jetzt...

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