Was macht einen Text lesenswert?

Er überrascht. Er berührt, bewegt.

Er zeigt mir vermeintlich Altbekanntes aus einem anderen Blickwinkel.

Er lässt mich das, was ich aus Gewohnheit nicht mehr sehe, erkennen.

Er wirft sein Licht in die dunklen, verstaubten, natürlich vergessenen und absichtlich übersehenen Ecken.

Er verbindet zuvor Unverbundenes, unvereinbar Gedachtes.

Er kommt von Herzen. Er bedenkt das größere Ganze.

Er schwafelt nicht.

Er hat keine Agenda.

Er überschreitet die Grenzen des Möglichen.

Er stellt Gewissheiten in Frage.

Er predigt nicht, hat keinen moralischen Zeigefinger.

Leichtigkeit und Tiefe gehen in ihm Hand in Hand.


Was macht einen Text für Euch lesenswert? Was würdet Ihr hier ergänzen?

Poesie

Poetisch ist jedes Kunstwerk, das mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele entstand und daher authentisch ist. Dieses Herz, diese Seele des Künstlers ist des Kunstwerks Essenz, die mich berührt, bewegt, inspiriert.

Poesie ist die Übertragung des Urmenschlichen, ist die Schönheit des Augenblicks, ist die Liebe, die sich in jedem Moment, in der Natur, zwischen Menschen offenbart.

Kunst ist das Medium, also das, was zwischen zwei Menschen steht und vermittelt. Sie überträgt das Innerste des Künstlers über sein Werk auf den Betrachter, Leser.

Poesie ist die Verbindung, die immer währt, die die Kunst aber oft erst offenlegt.


Die Poesie ist die Aufhebung der Beschränkungen des Lebens.

Franz Grillparzer

Stille ist der Schlüssel zur Poesie.

Klaus Ender

Echte Poesie kann kommunizieren, bevor sie verstanden wird. Der Sinn wird zuerst von der Seele, dann vom Verstand erfasst.

George Eliot

Theorie zu dem Workshop „Poetisch Schreiben“, den ich gerade entwickele (s. Seite). Darin soll es u.a. um Achtsamkeit gehen, um Bewusstsein, um die Verbindung zu sich selbst. Es geht mir nicht nur um schöne Texte. Es geht mir v.a. darum, dass wir uns mit unserem Urmenschlichen verbinden, also mit dem, was uns menschlich macht, und darüber auch das Menschsein anderer erkennen. Hochspannend, welche Texte dabei entstehen. Was ist Euer Verständnis von „Poesie“? Wann ist etwas für Euch „poetisch“?

Wie schreibe ich einen schönen Text?

Bleibe zu jeder Zeit aufrichtig Dir selbst gegenüber. Verwende keine Worte und Bilder von anderen, ohne zu wissen, was sie eigentlich bedeuten. Wenn nichts von Dir drinsteckt, sind Deine Worte leer.

Beobachte und urteile nicht. Vergiss alles, was Du jemals gelernt hast, was Dir die Gesellschaft und jedes Kollektiv, in dem du jemals Dich befandest, gelehrt hat: Jede Norm, jede Identität, jeden Filter. Was „wahr“ ist, oder wer Du zu sein scheinst. Alles, was als „gut“ oder „schlecht“ bewertet wird, also einem moralischen Spektrum unterliegt, ist dehnbar und diskutabel. Es gibt nur einen Filter, der zählt, und das ist Dein Herz.

Schreibe, ohne nachzudenken, alles auf, was aus Deinen Fingern fließt. In welcher Form dies geschieht, ist Dein Stil. Den Verstand setze beim Überarbeiten ein, doch auch da nur mit Vorsicht. Überarbeiten bedeutet hauptsächlich zu reduzieren.

Der Leser wird wissen, ob die Worte aufrichtig sind, denn es sind jene Worte, die berühren. Die von Herz zu Herz sprechen. Es ist keine Täuschung möglich.

P.S.: Wenn Du nichts zu sagen hast – lass es. Schweigen und Stille sind wertvoller als leere Worte.

Zum Problem der Textanalyse

Von Anfang an lernt man es, und lernt man es falsch (zumindest ist es mir so ergangen). Jede Art von Text, ob lyrischer, dramatischer, prosaischer, muss in seine Einzelteile zerlegt werden und darf nur auf eine Lesart gelesen werden – derjenigen, die dem Bewertenden gefällt. Wer also andere Bilder mit den zu analysierenden Worten verbindet, hat den Text nicht „verstanden“. Dabei ist das genau der Ansatz, der Menschen das Lesen verdirbt! Wer Kindern und Jugendlichen ein Muster aufzwingt und sie unter Druck setzt, „richtig“ zu lesen, verdirbt es ihnen (ist natürlich nicht nur beim Lesen der Fall).

„Verstehen“, also mit dem Verstand eine Sache und in diesem Fall einen Text zu erfassen, wird diesem nie gerecht werden, insofern es sich um einen literarischen handelt. Es gibt natürlich noch viele andere Arten von Texten, wie den wissenschaftlichen, die vor allem mit dem Verstand geschrieben und darum auch nur über diesen zu begreifen sind.

Literarische Texte aber müssen im Leser resonieren, sie müssen etwas in ihm zum Schwingen bringen, einen Nachhall erzeugen, ja bisweilen sogar ein Erdbeben, und allein darum sollte es bei einer Textbesprechung gehen: Spricht mich der Text an und inwiefern? Welche Bilder vermittelt er, mit welchen erzähltechnischen Mitteln tut er das? Kunst und damit auch das Schreiben ist subjektiv und kann entweder als schön oder hässlich, ansprechend oder abstoßend, gut oder schlecht empfunden werden.

Die in der Textanalyse leider zu beliebte Frage, „was der Autor uns damit sagen will“, kann und sollte niemals beantwortet werden müssen. Denn es gibt nicht die eine Antwort (wenn es sich nicht gerade um einen Text mit Agenda handelt). Der Autor hat das, was sich in ihm zusammenbraute, überfließen lassen auf Papier. Ohne an eine Leserschaft zu denken (wie gesagt, das ist das Ideal).

Die Bilder aus seinem Innersten stehen übersetzt in uns bekannte Worte Schwarz auf Weiß. Der Leser nun geht mit allen seinen eigenen Bildern, seiner eigenen Welt, an den Text heran. Ihn lesend, entfalten sich aus den Worten eigene Bilder in seinem Innern. Sie lösen Erinnerungen aus, an Erlebnisse des Lesers, an Erfahrungen, Menschen, alle Arten von Sinneseindrücken. Wenn jeder Mensch eine eigene Welt ist, wie könnte man sich jemals anmaßen zu wissen, was genau ein anderer Mensch mit seinen Worten „sagen wollte“, was er dabei fühlte, dachte? Selbst wenn er es noch so explizit tut, kann es sich dabei um eine Metapher, ein Wunsch- und Traumbild handeln und rein fiktiv sein. Es ließe sich wenn überhaupt fragen: Was sagt dieser Text mir selbst? Was ziehe ich daraus? Welche Stellen sprechen mich an und warum ist das so? Wieso gefällt mir dieser Text nicht, was daran stößt mich ab?

Es ließe sich daraus ein langer Essay schreiben, aber ich mache hier erstmal Pause. Ich habe das Thema zu meiner Doktorarbeit gemacht, wo ich dafür plädiere, auf den Text allein einzugehen, ohne ihn nur unter einem Theoriefilter zu sehen und ihm so seines Zaubers zu berauben. Natürlich ist das ein Ideal, ganz frei von Filtern sind wir nie, aber den Versuch ist es wert.

(Halle, 20.03.22)

Was ist ein schöner, ein „guter“ Text?

Ein guter, schöner Text ist ein aufrichtiger. Nicht konstruierter. Die Worte müssen vom Herzen her fließen, sie müssen die Bilder des Herzens und der Seele übersetzen in unsere Sprache. Sie dürfen nicht vom Ego kommen, also allein vom Kopf und aus der Angst heraus, sie müssen frei sein. Sie dürfen nicht belastet sein mit Berechnungen, mit Wünschen, mit nach außen gerichtetem Streben.

Es ist die einfache, schlichte Sprache, die unsere Seelenbilder beschreiben kann, ihre Gestalt ist die der Poesie.

Ein Text, in dem etwas gesagt werden soll, der eine Agenda hat, kann niemals ein poetischer sein. Er ist zu voll des Wollens, des Strebens nach etwas, das immer mit dem Ego zu tun hat. Er beobachtet nicht mehr, was ein schöner Text tut, er be- und verurteilt, er sieht die Welt durch einen Filter.

Zu oft kleben an den Worten die Wünsche, Träume, Sehnsüchte, Ängste der Verfasserin oder des Verfassers, sie werden dadurch schwer. Träume, ja, sie will ich lesen, aber jene aufrichtigen, die von einer anderen Welt erzählen, die uns glauben machen, dass Veränderung möglich ist. Das ist ein Punkt. Gleichzeitig darf die Literatur nicht müssen, sie ist frei und steht für sich alleine.

Es ist das besondere Potenzial literarischer Texte, auf Missstände aufmerksam zu machen, den Zeitgeist zu beschreiben und damit in das kollektive Gedächtnis einzugehen.


(Es folgen in nächster Zeit mehr Beiträge zum Thema Literatur, Texte, Tipps und Tricks. Alle Beiträge sind zu finden auf der Seite „Gedanken zu Literatur allgemein“)

Als nächstes: Wie schreibe ich authentische, „gute“ Texte?

Weitere Themen: Was ich von der herkömmlichen Literaturwissenschaft und herkömmlichem Deutschunterricht halte, warum „gute“ Literatur relativ bzw. subjektiv ist – und gleichzeitig auch nicht, Meinung zum aktuellen Buchmarkt etc.

Inspiriert mich: Schreibt mir gern, was Euch interessiert, wo Ihr Probleme beim Schreiben habt und worüber Ihr gern in Austausch gehen würdet!