Manchmal wünschte ich mir riesige lila Furunkeln am ganzen Körper. Oder Gipsbeine. Ich weiß, das ist zynisch und ich kann froh sein, dass ich das nicht habe, aber manchmal wünschte ich es mir.
Aber nein, meine Krankheit ist eine unsichtbare, und bei meinen Symptomen fällt es vermutlich manchen schwer, diese zu glauben. Mir zu glauben. Wow, müde bist du also, kannst nur liegen, kaum denken, so so. Siehst doch aber so gut aus heute, hatte gedacht, dir gehts schon wieder besser? Hast hald keine Lust, oder, Ausschlafen und Chillen ist doch auch ein schönes Leben, beneidenswert.
In einer Gesellschaft, in der Leistung und Produktivität an vorderster Stelle stehen, werden an „Erschöpfung“ Erkrankte schnell der Faulheit verdächtigt.
Tut mir leid, ich kann nicht kommen, ich bin heute wieder sehr müde, mein ganzer Körper schmerzt und ich habe unangenehmes Herzrasen. Tut mir leid, ich muss doch absagen, auch wenn ich mich schon so gefreut hatte, aber ich kann mich heute nicht mehr bewegen. Ich kann nur noch liegen, weil sitzen und stehen einfach nicht geht. Tut mir leid, ich kann heute kaum an meiner Bewerbung arbeiten, jede geistige Anstrengung macht mich so müde, als wäre ich den ganzen Tag unterwegs gewesen (eigentlich noch müder, aber die Müdigkeit jetzt ist mit damals aka. davor nicht zu vergleichen).
Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich diese Bewerbung schreiben soll, denn wie soll ich 40 Stunden schaffen, wenn mich eine Stunde Konzentration schon so auslaugt, als wären es acht gewesen?
Und ich möchte doch so gern „normal“ leben, selbstständig, unabhängig sein.
Und ich muss weinen, weil der Optimismus aufgrund der (mal wieder) stärker werdenden Symptome schon wieder schwindet, und weil ich in manchen Momenten einfach verzweifelt bin, und weil ich mit den Nerven gerade am Ende bin. Also erstmal weinen, dann was essen, dann Nervensystem beruhigen. Alles wird gut.
Ich stehe vor einem Neuanfang in einer anderen Stadt, und ich hätte gerne alles neu, auch meine Gesundheit. Jetzt ging es mir ein paar Wochen besser und jetzt denkt meine Familie schon wieder, ich kann so wie früher. Oder denke ich das? Ich wünschte es mir zumindest. Jedes Mal, wenn ich sage, mir geht es grad nicht gut, ich kann schon wieder kaum sitzen, ich bin überfordert, habe Angst, das alles nicht zu schaffen, weil ja, ich bin noch krank und will nicht wieder kränker werden, habe ich auch das Gefühl, man glaubt mir wieder nicht. Stell dich nicht so an, das ist eine große Chance, du musst da jetzt einfach durch.
Ich weiß nicht: Gebe ich bei der Bewerbung an, dass ich Post Covid/ ME/CFS habe? Oder tue ich so, als wär alles cool, easy, fein? Fühlt sich nicht richtig an, auch wenn ich mich nicht mit der Krankheit identifiziere. Ach, ich weiß doch auch nicht.
Nur, dass mir das Recherchieren, Einlesen, mich in die Theorie Einarbeiten (für einen Postdoc-Job an der Uni) mir schon wieder sehr viel Spaß macht, auch wenn es nicht mehr so einfach ist wie damals zu meinen gesunden Promotionszeiten. Aber ich bin dabei, und es ist einfach cool, mir Themen zu überlegen, denen ich nachgehen könnte, für die ich mich wochenlang in Büchern vergraben müsste (eher: dürfte), und wie befriedigend ist das überhaupt: ein Stapel gelesener und ungelesener wissenschaftlicher Bücher auf dem Schreibtisch?!
Ich werde die Bewerbung schreiben, keine Sorge, liebe Eltern. Wie es dann weitergeht, werden wir ja sehen…
[Halle, 25.11.23]
P.S.: Auf den Tag existiert diese Homepage übrigens seit vier Jahren. Bin ich froh, damals überredet worden zu sein, meine Texte hier hochzuladen! Danke an alle Leser:innen da draußen 🙏❤️